Kultur, Bildung, Kirchen ‐ 11/2021
Nobelpreis für Abdulrazak Gurnah
Anfang Oktober wurde dem aus Sansibar stammenden Abdulrazak Gurnah der Nobelpreis für Literatur verliehen. Die Verleihung löste in Tansania Überraschung, Anwandlungen von Nationalstolz und vor allem die Frage aus, wer das denn sei. Gurnah wurde 1948 in im damaligen britischen Protektorat Sultanat Sansibar geboren, die Vorfahren seiner Eltern waren aus dem Jemen nach Sansibar gekommen. Mit 18 Jahren, also 1966, verließ Gurnah Sansibar und kam nach England. Über die Umstände dieses Exils, das in den offiziellen Würdigungen als Flucht bezeichnet und mit den Massakern an den arabischen Bewohnern der Insel während der Revolution von 1964 in Verbindung gebracht wird, wurde nichts Genaues berichtet. (als er 1966 Sansibar verliess, waren die Brutalitäten der Revolution bereits seit 2 Jahren vorbei; konnte er mit seiner Einstufung als „Araber“ keinen Studienplatz bekommen? Red.) Jedenfalls kam Gurnah nach England, studierte dort und wurde -mit einer Zwischenstation als Gastdozent in Nigeria- schließlich Professor für englische und postkoloniale Literatur an der Universität von Leeds bis zu seinem Ruhestand. Er schreibt auf Englisch. 1987 verfasste er seinen ersten Roman, dem seither 9 weitere gefolgt sind. Bisher war keines seiner Bücher ein großer Verkaufserfolg, und in Tansania war er offenkundig allenfalls wenigen Eingeweihten bekannt. Er selber konnte erst 1984 erstmals wieder seine Heimat besuchen und seinen Vater vor dessen Tod noch einmal sehen. Er war seither mehrfach zu Besuch bei seiner Familie auf Sansibar.
Das Nobelpreiskommittee begründete seine Entscheidungen mit Gurnahs "leidenschaftlicher Durchdringung der Auswirkungen des Kolonialismus und der Situation des Flüchtlings im Zwiespalt zwischen Kulturen und Kontinenten".
In seinem jüngsten Roman "Afterlives" (2020) zeichnet er eine afrikanisch-indische Familiengeschichte nach, die im 19. Jahrhundert beginnt, sich in mehreren Erzählsträngen durch die deutsche und britische Kolonialzeit bis hin nach Hitlerdeutschland und dann in die Bundesrepublik Deutschland der 60er Jahre erstreckt. Seine historischen Bezüge sind eher knapp (und nicht immer ganz sauber recherchiert), die Skizzierung der handelnden Personen im Spannungsfeld zwischen afrikanischer und indischer Kultur und den kolonialen Situationen ist packend.
Reaktionen auf den Nobelpreis
Präsidentin Samia erklärte nach dem Bekanntwerden der Entscheidung des Nobelkommittees, dass der Preis eine Ehre für Tansania und Afrika sei. Sansibars Mwinyi ließ seine Anerkennung tweeten.
In den sozialen Netzen war die anfängliche Reaktion gemischt. Auf Jamiiforums wurde Fragen gestellt wie "Ist der überhaupt Tansanier?", "Ist das einer von den Arabern, die 1964 abgehauen sind?", aber auch die nationale Ehre wurde gestärkt gesehen "Er ist aus Sansibar, also ist er einer von uns.". Der Preis für Gurnah löste auch eine Debatte über die doppelte Staatsangehörigkeit aus. "Wenn er seinen Pass hätte behalten dürfen, könnten wir ihn jetzt mit vollem Recht als Erfolg Tansanias feiern"
Der Journalist Eric Kabendera schrieb aus seinem seit 2017 anhaltenden Exil "“Ein Hauptgrund, dass Tansania keine doppelte Staatsangehörigkeit zulässt, ist die Furcht vor Leuten wie Gurnah und seiner Familie, die vor der Araberverfolgung während der Revolution fliehen mussten. Sie könnten ja zurückkehren und ihren gestohlenen Besitz zurückfordern. Und wir feiern jetzt schamlos seinen Erfolg?"
Mehrere Stimmen forderten die Aufnahme von Gurnahs Büchern in den Lesestoff für die Schulen.
Der Verleger Walter Mboya meinte, Gurnahs Unbekanntheit sei auch auf die fehlende Lesekultur in Tansania zurückzuführen; Belletristik verkaufe sich nicht gut. Er erwarte jetzt mehr Motivation für Autoren als auch mehr Interesse bei Lesern.
Aljazeera[1] 09.10.21, Mwananchi[2] 08.10.21, Jamiiforums Oktober 2021
Tansanische Hochschulen
Die Zeitung Citizen machte sich Gedanken über den Platz der tansanischen Universitäten auf internationalen Rangskalen. Auf der jüngsten Rangliste des spanischen Webometrics Ranking sind lediglich drei tansanische Universitäten unter den 100 besten Hochschulen Afrikas aufgeführt, weltweit sind auf den Plätzen vor ihnen mehr als 2000 andere Unis aufgeführt. Die Universität von Dar es Salaam (Nr. 42 in Afrika, Nr. 1913 weltweit), Sokoine Universität Morogoro (51 / 2035) und die medizinische Universität Muhimbili (91 / 2796) sind demnach die besten des Landes, alle anderen sind im Ranking weit abgeschlagen.
Citizen 14.10.21
Kaffeekultur mit Mängeln
Die Regulierungsbehörde für die Kaffeewirtschaft möchte in den kommenden Jahren ein Fünftel aller Tansanier zu Kaffeetrinkern machen. Bisher trinken nur 7% der Einwohner Kaffee, und der pro-Kopf-Verbrauch liegt unter 100 g je Einwohner jährlich. Mehr Inlands-konsum würde das Einkommen der Bauern verbessern.
Guardian 22.10.21
Baby Mama Culture
Der tansanische "Citizen" druckte einen Artikel der kenianischen Nation ab, wonach die "Baby Mama Culture" eine Bedrohung für die afrikanische Familie sei. Kinder wachsen außerhalb von Familienstrukturen mit alleinstehenden Müttern auf. Laut Verfassern gibt es eine wachsende Zahl von Frauen, die sich zu einem Kind entschließen, ohne eine Verbindung mit dem Vater eingehen zu wollen, weil sie sich davon das Kind und eine bequeme Einkommensquelle durch Unterhaltszahlungen ohne Beziehungsstress versprechen. Der Artikel führt einige warnende Beispiele auf, wie den Pfingstbischof, der auf Unterhalt verklagt wurde und einige kenianische Politiker und Musiker, die das gleiche traurige Schicksal ereilte. Besonders gefürchtet sind offenkundig Kindesmütter, die überraschend auf Beerdigungen auftauchen und ein Erbteil einfordern. Neben der Klage über den Sittenverfall ist der Artikel offenkundig auch als Warnung gedacht, wiewohl Unterhaltsklagen in Tansania viel seltener sind als in Kenia, wo Tausende dieser Fälle vor Gericht landen. (Abgesehen davon dürfte die Schilderung nicht viel mit der realen Situation der vielen schlecht gebildeten und armen ledigen jungen Mütter zu tun haben, die mit ihren Kindern allein bleiben. Red.)
Citizen 24.10.21
Empfängnisverhütung
Der CCM-Abgeordnete Nashon Bidyangunze forderte in seinem Wahlkreis Kigoma Süd, in den Schulen die Kalendermethode zur Empfängnisverhütung zu unterrichten. Angesichts der hohen Zahlen von Teenagerschwangerschaften dürfe man die Augen nicht vor den Realitäten verschließen. Es ließe sich nicht verhindern, dass sich 2 Personen heimlich treffen. Wenn die Mädchen zählen würden, ließen sich viele Schwangerschaften verhindern.
Mwananchi 24.10.21
Vorgaben für Schulbau
Nach einem Bericht der Zeitung Jamhuri sehen sich zahlreiche Verwaltungsbeamte in ländlichen Distrikten großen Problemen gegenüber, die von der Regierung kommenden Mittel für den Bau neuer Schulgebäude nach Vorschrift auszugeben. Demnach habe das Ministerium für Lokale Verwaltung die Vorgabe gemacht, dass ein Klassenraum für TSh 20 Mil. zu errichten ist. Mit dieser Vorgabe soll die in der Vergangenheit immer wieder festgestellte Korruption durch überhöhte Abrechnungen verhindert werden. Ein Kredit aus Mitteln der Weltbank über TSh 1,3 Bil. (€490 Mil.) soll den Bau von 15.000 neuen Klassenzimmern ermöglichen, um damit der Raumnot der Schulen abzuhelfen. Dabei sind in abgelegenen Gebieten die Materialien wegen der Transportkosten deutlich teurer. Auch erlaube die Vorgabe von oben nicht, günstige gebrannte Ziegel zu verwenden, sondern bestehe auf Zementblöcken für das Mauerwerk. Die Zeitung führt ähnliche Stimmen aus den abgelegenen Bezirken Katavi, Kagera, Maar und Kigoma an. Eine Sprecherin des Ministeriums verteidigte den einheitlichen Richtpreis für das ganze Land als angemessen.
Jamhuri 26.10.21
Samia gottgesandt
Der lutherische Bischof Frederick Shoo glaubt, dass Präsidentin Samia von Gott in die Welt gesandt wurde, um die Wunden der tansanischen Nation zu heilen. Der Vorsitzende Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania führte dies in einer Predigt am 16. Oktober aus. Sie sei mit ihrer Haltung ein Vorbild für alle Personen, die Macht ausüben. Shoo war mit Samias Vorgänger Magufuli öfters in Konflikt geraten und dadurch auch innerhalb der Kirche unter Druck gekommen.
Mwananchi 16.10.2021
Patriarch zu Besuch
Der griechisch-orthodoxe Patriarch von Alexandria und ganz Afrika Theodor II besuchte im Oktober Dar es Salaam. In Tansania bestehen mehrere Bischofssitze der griechisch-orthodoxen Kirche. Ursprünglich nur aus griechischen Siedlern bestehend, kamen seit 1964 auch Afrikaner in diese Kirche. Nach Wegzug der meisten Griechen ist die Kirche ganz überwiegend afrikanisch. Von den 3 Bischöfen in Tansania sind 2 aus Griechenland, der Erzbischof von Mwanza ist Ugander. Der Erzbischof in Dar es Salaam ist für das östliche Tansania und die Seychellen zuständig. seine Diözese hat auf Griechisch den schönen Namen "Eirenopolis" (Friedensstadt) bekommen. Patriarch Theodor feierte mehrere Gottesdienste und ordinierte 5 Lektoren, darunter 2 Massai. Er traf mit Vizepräsident Mpango sowie den Botschaftern Ägyptens und Griechenlands zusammen.
Orthodox Times 25.10.21
Steuern für kirchliche Schulen
Bei einer Versammlung der Priester der katholischen Diözese Moshi wurde eine Senkung der Steuern gefordert, die für den Betrieb von kirchlichen Schulen anfallen. In letzter Zeit drängen staatliche Stellen vermehrt darauf, dass auch kirchliche Einrichtungen ihre Einnahmen versteuern. Präsidentin Samia hatte im Frühjahr die Kirchen aufgefordert, ihre Buchhaltung endlich in Ordnung zu bringen, damit nachvollziehbar wird, ob sie Schulen und andere Einrichtung zur Gewinnerzielung oder als soziale Dienstleistung betreiben. Die Priester wiesen jetzt darauf hin, dass bei den von ihnen geleiteten Einrichtungen der Dienstcharakter im Vordergrund steht und dass die Belastung durch Steuern und Abgaben bereits zum Bankrott einiger Schulen geführt haben.
Mwananchi 24.10.2021
Chemnitzer Friedenspreis für Tansanier
Der Bürgerverein "Für Chemnitz" verlieh seinen Friedenspreis 2021 an den tansanischen Musiker Aruba Mannilah. Er stammt aus Tansania und lebt seit 2003 in Chemnitz, wo er in seinem Kukulle Motor Culture Center Trommel- und Tanzworkshops durchführt.
Uhuru 29.10.2021