Innenpolitik ‐ 12/2022

Aus Tansania Information
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Flugzeugunglück im Viktoriasee

Große Aufmerksamkeit erregte ein Flugzeugabsturz im November. Eine ATR-42 der Precision Air stürzte beim Landeanflug auf Bukoba ca 100 m entfernt vom Ufer in den Viktoriasee. 19 Menschen kamen ums Leben, darunter die beiden Piloten. 22 Passagiere wurden von Fischern gerettet oder konnten ans Ufer schwimmen. Der Absturz fand bei schlechtem Wetter statt, das von der Polizei auch als Unfallursache angegeben wird. Ein Zeitungsbericht nahm an, dass der Pilot bei starkem Regen, geringer Sicht und Windböen zu früh zur Landung ansetzte und deshalb auf dem Wasser herunterkam. Der Landestreifen beginnt direkt am Ufer, lediglich 50 m vom Wasser entfernt und verfügt über keine Beleuchtung. In sozialen Medien wurde Selbstüberschätzung des erfahrenen Piloten als Ursache vermutet.

Das Flugzeug schwamm nach der Wasserlandung im See, die Türen waren allerdings unter der Oberfläche. Die Todesfälle sind auf Ertrinken zurückzuführen, da nach Öffnung der Türen Wasser eindrang und die Evakuierung nicht schnell genug erfolgen konnte. Mehrere kleine Fischerboote in der Uferzone eilten zur Rettung herbei, der Flughafen selbst hatte keine Kräfte oder Ausrüstung für die Situation. Das einzige Regierungsboot von Bukoba war zu dem Zeitpunkt mehrere Kilometer entfernt im See unterwegs.

In der öffentlichen Diskussion wurden Fragen nach der Verantwortung der Regierung für die mangelnde Notfallausrüstung gestellt. Dabei wurde an Schiffskatastrophen der letzten Jahre erinnert, bei denen mehrere hundert Menschen umkamen und jeweils anschließend eine Verbesserung der Rettungsdienste angekündigt worden war. 1996 hatte der Untergang der großen Fähre Bukoba 900 Menschenleben gefordert, und 2018 waren beim Kentern der überladenen Inselfähre MV Nyerere knapp 300 Menschen umgekommen. Es wurde auch daran erinnert, dass seit Jahren eine Verlegung des Flugplatzes von Bukoba geplant ist, aber eine bereits angekündigte Verlegung durch den damaligen Präsidenten Magufuli wieder abgesagt wurde; Kritiker wiesen darauf hin, dass Magufuli stattdessen den teuren Ausbau des Flughafens in seinem Heimatort Chato betrieben hatte, auf dem nunmehr große Düsenmaschinen landen könnten – die ihn aber nicht anfliegen. Für die Finanzierung der Kosten von $22 Mil. wurden seinerzeit Mittel aus anderen beschlossenen Projekten abgezogen.

Von staatlichen Stellen wurde der Einsatz der Fischer bei der Rettung herausgestellt, insbesondere eines jungen Mannes, der sich dabei verletzte und mit Überlebenden zusammen ins Krankenhaus kam, wo er von Reportern bemerkt wurde. Jackson Majaliwa war mehrfach getaucht und hatte bei der Öffnung einer Tür geholfen. Er hatte auch mit den noch lebenden Piloten in der Kanzel über Handzeichen kommuniziert. Er war dann von einem Polizisten davon abgehalten worden, das Fenster der Pilotenkanzel einzuschlagen. Nachdem er seine Geschichte im Krankenhaus Reportern erzählt hatte, verkündete der Ministerpräsident, dass ihm eine Prämie von TSh 1 Mil. ausgezahlt und er in die Ausbildung für den staatlichen Katastrophenschutz übernommen wird. Der junge Mann wurde auch zu einer Parlamentssitzung eingeladen, wo ihm vor laufenden Kameras gedankt wurde. - Nur am Rande wurde in einem Berichten gefragt, warum staatlicherseits niemand nach den anderen Fischern frage, die mit Majaliwa gemeinsam unterwegs gewesen und an der Rettungsaktion beteiligt waren. Ein Fischerkamerad Majaliwas bat darum, auch eine Arbeitsstelle im Katastrophenschutz zu bekommen. Dazu gab es keine Reaktionen von offizieller Seite.

Der Oppositionspolitiker James Mbatia, ehemaliger Vorsitzender der NCCR-Mageuzi, kritisierte das Versagen des Rettungssystems und forderte, dass endlich ein Parlamentsbeschluss aus dem Jahre 2015 umgesetzt werden müsse, der die Gründung einer Katastrophenschutzbehörde vorsieht.

Precision Air kündigte wenige Tage nach dem Unglück an, dass die Angehörigen jetzt Ansprüche auf Auszahlung der Unfallversicherung anmelden können. Dabei könnten pro Opfer $129,000 zur Auszahlung kommen.

Die abgestürzte ATR-42 ist eine Kurzstreckenmaschine mit Turbopropellerantrieb, von der bisher knapp 500 Stück produziert wurden und die auf allen Kontinenten eingesetzt wird. Turbopropmaschinen sind langsamer als Düsenflugzeuge, aber leiser und sparsamer im Verbrauch.

Precision Air ist die größte private Luftverkehrsgesellschaft in Tansania, an der die Air Kenya etwa 40% der Anteile hält. Sie betreibt 8 Maschinen, allesamt vom französisch-italienischen Flugzeugbauer ATR.

Citizen 07 + 14.11.2022, Jamiiforums November 2022, Mwananchi 10. + 14.11,2022, Simpleflying 07.11.2022

Afrikanischer Gerichtshof für Menschenrechte

Tansania überlegt, sich wieder dem vollen Regelwerk des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte anschließen, benötigt dafür aber noch mehr Zeit. Das erklärte Präsidentin Samia in einem Grußwort an den Ostafrikanischen Juristenverband. Der Standort des Gerichts ist das tansanische Arusha. Tansania hatte im Jahr 2019 seine Zustimmung für Individualklagen vor diesem Gericht zurückgezogen, nachdem von tansanischen Bürgern und Vereinigungen mehr als 200 Klagen wegen Verletzung von Bürger- und Menschenrechten eingereicht worden waren, die meist gegen die Regierung entschieden worden waren. Offenkundig hatte die Nähe zum Gerichtsort dazu geführt, dass die meisten Klagen gegen Regierungsentscheidungen aus Tansania kamen. Dies wurde von Politikern als peinlich empfunden, insbesondere da die Regierung meistens die Prozesse verlor.

Samia sagte nicht klar, was noch nötig sei, um in das System der Individualklagen zurückzukehren. Es könnte darauf hinauslaufen, dass Tansania solche Klagen erst zulässt, nachdem sie die Instanzen der tansanischen Justiz durchlaufen haben. In der tansanischen Öffentlichkeit wird die Diskussion häufig unter der irreführenden Überschrift “Tansanias Austritt aus dem Afrikanischen Gerichtshof” geführt; das Protokoll über die Zulassung individueller Klagen ist aber nur ein Teil des Regelwerks für dieses innerafrikanische Gericht. Von daher hat die Regierung Beschwerden über ihren Rückzug im Jahr 2019 gern damit beantwortet, dass sie gar nicht dieses Gericht verlassen hat. Die hohe Zahl der erfolgreichen Individualklagen gegen den tansanischen Staat hätten aber dem Ruf des Landes geschadet, weswegen man erst mal aus diesem Teil des Gerichtsvertrages ausgeschieden sei. Samia deutete in ihrem Grußwort an, dass sie mit einer Verbesserung des tansanischen Justizsystems rechnet, wodurch viele Klagegründe vor dem übergeordneten afrikanischen Gerichtshof wegfallen könnten. Der Gerichtshof selbst teilt immer wieder mit, dass seine Entscheidungen von vielen afrikanischen Regierungen ignoriert werden.

Citizen 25.11.2022, Guardian 25.11.2022

Gespräche CCM - Opposition

Anfang November trafen sich Vertreter der regierenden CCM und der Oppositionspartei Chadema zu einem vierstündigen Gespräch. Über den Inhalt der Diskussion wurden nur Andeutungen gemacht. Erstmals trafen sich Vertreter der CCM und der Opposition im Mai 2022 auf Einladung von Präsidentin und CCM-Vorsitzender Samia Suluhu Hassan, um über eine Verbesserung des politischen Klimas im Lande zu reden. Die Chadema war damals mit Forderungen zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, Sicherheitsgarantien für ihre derzeit im Exil lebenden Führer und politische Flüchtlinge, Entfernung der 19 weiblichen Sonderabgeordneten, die durch eine CCM-Intrige im Namen der Chadema im Parlament sitzen, die Einstellung der politischen Prozesse sowie Einleitung der Verfassungsreform in das Gespräch gegangen. Über weitere Treffen wurde seither Stillschweigen bewahrt. Von Teilnehmern der Chadema wurde nur angedeutet, es sei um die „4 R“gegangen: Reconciliation (Versöhnung), Resiliency (Nachhaltigkeit), Reforns (Reformen) und Rebuilding (demokratischer Wiederaufbau).

Seither hat sich einiges im Lande bewegt. Die CCM erklärte etwas überraschend, dass sie eine Reform der Verfassung fordert, und zwei zu lebenslanger Haft verurteilte Chademamitglieder wurden vor Gericht freigesprochen. Oppositionspolitiker konnten in einigen Gegenden Versammlungen abhalten, wurden aber anderswo wieder von der Polizei daran gehindert. Der Präsidentschaftskandidat der Chadema von 2020 Tundu Lissu ist weiterhin im Exil in Belgien, und die weiblichen Sonderabgeordneten für die Partei sitzen nach wie vor im Parlament und wehren sich vor Gericht gegen ihren Parteiausschluss, der dann den Mandatsverlust zur Folge haben wird. Eine Stellungnahme der Regierung zu den Umständen ihrer Aufnahme ins Parlament ohne Nominierung durch ihre Partei steht weiterhin aus.

Mwananchi 05.11.2022

Oppositionsveranstaltung behindert

Eine Besuchsreise Zitto Kabwes, des Führers der Partei ACT-Wazalendo, wurde im südtansanischen Tunduru von der Polizei unterbrochen. Ein Polizeisprecher führte zur Begründung an, man habe von einem Besuch des Oppositionspolitikers nichts gewusst, und ansonsten würden gerade die Abschlussprüfungen der Klassen 11 der Sekundarschulen stattfinden.

Kabwe erklärte dazu, dass die Polizei von den Steuern aller Tansanier bezahlt werde und sie nicht die Aufgabe habe, den Bürgern zu drohen. ACT-Wazalendo ist die größte Oppositionspartei auf Sansibar und dort gemäß Verfassung an der „Regierung der Nationalen Einheit“ beteiligt.

Mwananchi 15.11.2022

Die 19 Chademafrauen vor Gericht

Eine interessante Wendung nahm der Prozess der 19 weiblichen Abgeordneten, die gegen ihren Parteiausschluss klagen. Die Abgeordnete Nusrat Hanje, vormals Vorsitzende der Jugendorganisation der Partei, sagt vor Gericht unter Eid aus, dass ihr das Formular für die Bewerbung als nominierte Abgeordnete vom Chadema-Generalsekretär John Nyika in die Haft gebracht worden sei. Nyika hat bisher stets erklärt, dass die weiblichen Abgeordneten nicht der Partei vorgeschlagen wurden und deshalb nicht hätten vereidigt werden dürfen.

In der durch die Regierung Magufuli manipulierten Wahl im Jahre 2020 hatte die bisher größte Oppositionspartei Chadema alle ihre Direktmandate bis auf ein einziges verloren; sie hatte aber insgesamt genug Stimmen erhalten, dass ihr 19 Sondersitze für weibliche Abgeordnete zustanden. Die Chadema hatte erklärt, dass sie die in ihren Augen gefälschte Wahl nicht akzeptiere und deshalb keine Sitze in Anspruch nehmen werde. Dagegen war innerhalb der Partei Widerspruch laut geworden, vor allem aus der Frauenorganisation, aus der natürlich die 19 Sonderabgeordneten kommen sollten. In einem bis heute nicht geklärten Ablauf tauchten dann eines Tages 19 weibliche Chademamitglieder im Parlament auf und wurden vom damaligen Bungepräsidenten Job Ndugai als Abgeordnete vereidigt; Ndugai erklärte dazu, ihm sei die gesetzmäßige Nominierung von der zuständigen Wahlkommission mitgeteilt worden. Die Wahlkommission erklärte wiederum, ihr lägen die von der Chadema eingereichten Formulare vor, die die Nominierung aussprachen. Der zuständige Chadema-Generalsekretär John Nyika wiederum teilte mit, sie habe niemanden nominiert, die angeblichen Formulare seien Fälschungen. Die Wahlbehörde klärte nie, auf welchem Wege sie in den Besitz der besagten Nominierungsformulare gekommen war. Die 19 Frauen wurden von der Chadema als Verräterinnen bezeichnet, die sich aus materiellen Gründen hätten von der Regierung benutzen lassen, um die Oppositionsfront gegen die Ablehnung der Wahl zu spalten und dem manipulierten Parlament den Anschein einer Oppositionsbeteiligung zu geben.

Nusrat Hanje war während des Wahlkampfs im Juni 2020 zusammen mit 18 weiteren Chademamitgliedern von der Polizei mit der Begründung verhaftet worden, sie hätten ein Parteilied auf die Melodie der Nationalhymne gesungen. Sie blieb 4 Monate in Untersuchungshaft, da alle Anträge auf Freilassung auf Kaution von der Regierung abgelehnt wurden. Am 23. November 2020 wurden sie mit ihren Mitgefangenen plötzlich entlassen, nachdem die Regierung die Anklage zurückgezogen hatte. Hanje wurde direkt vom Gefängnis nach Dodoma gebracht, wo sie am folgenden Tag als Abgeordnete vereidigt wurde.

Jetzt erklärte sie unter Eid, dass ihr das Nominierungsformular durch Generalsekretär Nyika ins Gefängnis gebracht wurde und sie es dort gegengezeichnet habe. Auch habe sie mit dem Parteivorsitzenden Freeman Mbowe am Tage ihrer Freilassung telefoniert; er habe ihr dabei gesagt, sie solle sich keine Sorgen machen und ins Parlament gehen.

Hanje bat das Gericht, die Entscheidung zurück an die Partei zu geben. Sie seien dort nicht angehört worden, und es könne sich noch alles klären lassen. Der Richter äußerte Verständnis für diese Idee und fragte den Chademaanwalt, ob er sich so etwas vorstellen kann. Bis Redaktionsschluss liegen keine weiteren Berichte vor. Es ist ziemlich klar, dass um dieses kleine Politdrama kräftig gelogen wird. Ob das je geklärt wird, bleibt zu beobachten.

Jamiiforums November 2022, Mwananchi 06.11.2022

Verwirrende Kritik aus der CCM

Der CCM-Abgeordnete und ehemalige Generalsekretär der Partei Bashiru Ally erregte mit einer kritischen Bemerkung die Gemüter in seiner Partei. Auf einer Tagung der Landwirte hatte er die Versammelten dazu aufgerufen, ihre Interessen zu vertreten. Diese Versammlung sei nicht dazu da, sich bei irgendjemand zu bedanken, sondern Recht und Respekt einzufordern. Sie hätte die Aufgabe, allen von ihm nicht näher benannten Ausbeutern Angst einzujagen, ohne diese Konsequenz habe sie ihr Ziel verfehlt. Seine feurige Ansprache wurde in der Öffentlichkeit schnell als Kampfansage an nicht klar zu benennende Gegner in der Regierungspartei oder auch in der Regierung selbst verstanden.

Jedenfalls meldete sich umgehend der Dar es Salaamer Regionalkommissar zu Wort, der Ally dazu aufforderte, den Mund zu halten, wenn er nicht wisse, bei wem er sich zu bedanken habe. Schließlich sei es allen Tansanier und vor allem den Landwirten klar, dass sie ihren Fortschritt den Anstrengungen von Präsidentin Samia zu verdanken haben (deren Ernennung Makalla seinen Posten verdankt). Offenkundig verstieß Ally mit seinem Beitrag zu sehr gegen die gute Sitte in der CCM, öffentliche Äußerungen zunächst mit Loyalitätsbekundungen und Dank an den jeweiligen Präsidenten bzw. anwesende ranghöhere Partei- und Staatsführer einzuleiten.

Der Vorgang wurde in den sozialen Netzen breit diskutiert. Viele sahen Allys Äußerungen als indirekten Angriff auf die Präsidentin und erinnerten daran, dass der vormalige Politikdozent Ally von Präsident Magufuli aus der Universität geholt und erst zum Generalsekretär der Partei und dann zum mächtigen Kabinettssekretär gemacht worden war. Als Generalsekretär der CCM war Ally zuständig für den Wahlkampf 2020, den die Partei durch offenkundig massive Wahlfälschungen gewann. Nach dem Tod Magufulis und der Amtsübernahme durch Samia wurde Ally schnell von seinem Regierungsposten durch Berufung auf einen Abgeordnetensitz abgeschoben.

Einige Oppositionspolitiker wanden sich etwas in ihren Kommentaren zu dem Vorgang. Sie wollten sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, der Kritik an der Lage der Landwirte und der ärmeren Bevölkerungsschichten aufzunehmen und zu bestärken, stellten aber zugleich heraus, dass Ally als Unterstützer des vorherigen Präsidenten verantwortlich für die Zustände sei.

Mwananchi 24. + 25.11.2022