Aktuelles: Tansania in Coronazeiten - 06/2020

Aus Tansania Information
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Eigener Weg

Im Berichtszeitraum war das öffentliche Leben wie auch der persönliche Bereich von der COVID-19-Epidemie geprägt.

Tansania folgte auf Betreiben des Präsidenten einem eigenen kontrovers diskutierten Weg, der mit Schließungen von Unterrichts-, Vergnügungs- und Sporteinrichtungen, Abstandhalten im öffentlichen Bereich, Händewaschen und Maskentragen in Städten und Verkehrsmitteln und traditionellen Heilmethoden die Epidemie einzugrenzen sucht, ohne aber die Bewegungsfreiheit der Bürger und religiöse Einrichtungen zu beschränken. Ab Ende April veröffentlichte die Regierung keine Infektionszahlen mehr. Zu viele Tests seien falsch positiv ausgefallen.

Ab 1. Juni sollen Hochschulen und Sportveranstaltungen wieder öffnen. Die Abschlussklassen der Sekundarschulen sollen im Juli zur Prüfungsvorbereitung zurückkehren. Vorbeugungsmaßnahmen sollen beibehalten werden.

Coronapolitik

Der Präsident war im April in seinen Heimatort Chato am Viktoriasee gereist, was von Kritikern in sozialen Medien als Flucht vor dem Virus bezeichnet wurde. Von dort hatte er das Gesundheitsministerium aufgefordert, nicht nur Krankenzahlen, sondern auch die Anzahl der Genesenen zu veröffentlichen. Er wiederholte mehrfach, dass die Furcht vor dem Virus gefährlicher sei als das Virus selbst. Magufuli ersetzte den Staatssekretär für Gesundheitswesen durch seinen persönlichen medizinischen Berater.

Nachdem Ende April die Infektionszahlen Tansanias die des Nachbarn Kenia überstiegen, kritisierte Magufuli in einer Rede vor angereisten Kommandeuren des Militärs und der Polizei das Gesundheitsministerium und das (einzige) staatliche Testlabor und gab bekannt, dass er zwecks Überprüfung Proben von Früchten und Tieren unter menschlichen Namen hatte einreichen lassen. Mehrere dieser Testproben seien als COVID-19 positiv diagnostiziert worden.

Magufuli warnte davor, unkritisch die Maßnahmen anderer Länder zu kopieren und unbesehen ausländisches Material und Testgeräte zu verwenden. Er stellte die Frage, ob aus dem Ausland gespendete Schutzmasken Teil eines Planes sein könnten, das Virus in Tansania zu verbreiten und deutete an, dass sogar Mitarbeiter des staatlichen Labors im Auftrage „von Imperialisten” zu hohe Fallzahlen produzieren könnten. Zugleich entließ er den stellvertretenden Gesundheitsminister. Dieser hatte eine wissenschaftliche Überprüfung traditioneller Arzneimixturen verlangt. Am folgenden Tag suspendierte Gesundheitsministerin U. Mwalimu die Leiterin des Labors und setzte eine Untersuchungskommission ein. Seither wurden keine Testergebnisse mehr veröffentlicht.

Am 17. Mai erklärte Dr. Magufuli im lutherischen Gottesdienst seines Heimatortes, dass das Schlimmste anscheinend überstanden sei. Sein eigener Sohn habe mit Selbstisolierung und Inhalation einer Ingwer-Zitrusmischung eine COVID-19-Erkrankung überstanden. Magufuli machte keine statistischen Angaben, nannte aber Krankenhäuser, in denen die Zahl der COVID-19-Patienten stark zurückgegangen sei. [Anmerkung: dies stimmt derzeit mit Beobachtungen von Ärzten in Dar es Salaam überein - Red.] und forderte (zeitgleich mit dem Ende des Ramadan) zu nationalen Dankgebeten für die Bewahrung auf. Dabei sollten vorerst die bisherigen Vorsichtsmaßnahmen beibehalten werden.

Der Regionalkommissar von Dar es Salaam P. Makonda forderte daraufhin die Bevölkerung auf, am Sonntag zu feiern. Alle Bars sollten wieder geöffnet werden und alle sollten am Strand und überall sonst so laut wie möglich ihrer Freude Ausdruck verleihen. Die Polizei folgte mit einer Erklärung, dass die Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden sollten.

Citizen 17.05.; Bongoleo 19.05.20

Grenzschließungen

Es kam zu wiederholten Schließungen der Grenzübergänge nach Sambia, Kenia und Uganda. Die sambischen Behörden reagierten damit auf zunehmende Infektionen mit COVID-19 im Grenzort Nakonde-Tunduma. Nach einigen Tagen wurde die Grenze wieder für LKWs geöffnet, um den Export von Kupfer und Kobalt sowie den Import von Treibstoff zu ermöglichen.

Mitte Mai schloss Kenia seine Grenzen zu Tansania, da der Anstieg an Infektionen überwiegend auf Einreisen aus dem Nachbarland zurückgeführt wurde. Der Warenverkehr war weiter zugelassen, aber alle LKW-Fahrer wurden auf COVID-19 getestet. Sie mussten eine bis zwei Wochen auf ihre Testergebnisse warten und bewegten sich in der Wartezeit auf beiden Seiten der Grenzstädte. Reporter beschrieben die Situation als Brutstätte für Infektionen. Nachdem mehr als 150 positiv getesteten tansanischen Fahrern die Einreise verweigert worden war, sperrte Tansania seinerseits die Grenze für alle kenianischen Fahrer.

Der Regionalkommissar von Arusha erklärte, dass 19 in Kenia als positiv zurückgewiesene Tansanier sich bei einem erneuten Test in Tansania als negativ erwiesen hätten. Die kenianische Praxis sei ein Versuch, dem tansanischen Tourismus zu schaden, bevor im Juni die neue Saison beginnt.

Die Präsidenten Kenyatta und Magufuli verabredeten in einem Telefongespräch ein Treffen ihrer Verkehrsminister und Verwaltungsbeamten, das die Probleme ausräumen soll. Die getroffene Vereinbarung sieht vor, dass nicht infizierte Fahrer fortan mit einer Testbestätigung des Herkunftslandes die Grenzen überschreiten können. Die jeweils andere Seite dürfe stichprobenweise Kontrolluntersuchungen durchführen und die Ergebnisse veröffentlichen, allerdings ohne die Nationalität der Fahrer zu nennen.

An der Grenze zu Ruanda entstand ein Stau von mehr als 1.000 LKWs; Ruanda hatte verlangt, dass an der Grenze ruandische Fahrer die tansanischen LKWs übernehmen, wozu die tansanischen Besitzer nicht bereit waren. Jetzt sollen alle Waren an der Grenze auf ruandische Fahrzeuge umgeladen werden. Fahrzeuge mit verderblichen Waren und Treibstoff werden in Ruanda bis zum Bestimmungsort eskortiert. Das Land importiert viele Waren durch Tansania.

Capital FM (Kenia) 19.05.; Citizen 18.,20.05.; DN 21.05.; East African 16.05; Washington Post 22.05

Diskussion in den Sozialen Medien

Ein Blick in die Diskussion in den sozialen Medien (die natürlich nur von einem kleineren Teil der Bevölkerung geführt wird, die Zugang zum Internet hat), repräsentiert durch die nach wie vor noch unzensierte und breit aufgestellten “Jamiiforums” mit Dutzenden von Einzeldiskussionen zur Thematik, zeigt:

Diese Debatte ist stark polarisiert. Kritik an der Linie der Regierung mischt sich mit allgemein parteipolitischen Einstellungen und konzentriert sich auf die Weigerung Magufulis, im Unterschied zu den Nachbarländern Ausgangssperren (“lockdown”) in Erwägung zu ziehen, die Nichtschließung der religiösen Versammlungen, die Gefährdung der Bevölkerung durch erhöhte Ansteckungsgefahr, die geringe Zahl der Tests und den Stopp der Bekanntgabe von Ergebnissen sowie die offenkundige Zensur, Entlassung von missliebigen Spitzenbeamten und Verschwörungstheorien des Präsidenten.

Zustimmende Äußerungen zum Kurs der Regierung speisen sich aus unterschiedlichen, oft gemischten Motiven:

  • Pragmatismus (die ganzen tollen westlichen Methoden können bei uns nicht funktionieren, da wir weder Intensivstationen haben noch Beatmungs-geräte noch Geld, um Arbeitslose zu füttern - also müssen wir etwas probieren was bei uns gehen könnte: Distanz -Händewaschen - Weiterarbeiten - und Beten, dass es möglichst gut geht; und gottseidank mussten wir noch Keinen wegen Lockdown totschießen wie Kenia und Uganda)
  • Einer afronationalistischen COVID-Verleugnung (das kann uns nichts tun, Afrikaner sind immun dagegen, Europäer sind viel zu empfindlich, unsere Vorfahren haben auch schon Kräuter inhaliert)
  • Einer religiösen COVID-Verleugnung (wir beten so viel, da kommt kein Virus rein, unser Führer Magufuli zieht soviel König-David-Segen auf sich, Tansania kommt gut durch weil wir die Gottesdienste nicht verboten haben)
  • Einer prinzipiellen COVID-Verleugnung wie auch im Westen (Die Aufforderung des Dar-Regionalkomissars Makonda zum Feiern nach dem Sieg über die Epidemie wurde vielfach sarkastisch als Einladung zur “Corona Beach Party” karikiert.)

[1] im Mai 2020

Internationales Echo

Tansania fand ungewöhnlich breite Beachtung in der internationalen Presse, die wiederholt Magufulis Äußerungen über die Bedeutung von Gebet, traditionelle Heilmethoden und seine Ablehnung von Ausgangsbeschränkungen kommentierte.

Kenianische und südafrikanische Zeitungen fassten seine Methoden der Coronabekämpfung mit den Stichworten „Gebete und Zitronensaft“ zusammen. Indische und ägyptische Zeitungen brachten einen AP-Bericht, wonach Magufuli einen Sieg über Corona verkündet habe, es aber wachsende Ängste gebe.

Afrikanische Journalisten stimmten überwiegend in die kritische Bewertung der tansanischen Coronapolitik ein (africareport: „Tanzania’s handling of pandemic raises eyebrows“, „COVID-19 is casting Magufuli in the worst light, in an election year“, Deutsche Welle Africa: „Opinion: Magufuli's COVID-19 apathy is a recipe for disaster“, ISS-Africa: „Magufuli confronts Covid-19 with prayer and snake oil“, Quartzafrica: „Tanzania’s president is under pressure after three MPs die in 11 days and Covid-19 cases spike“).

Die Süddeutsche Zeitung meinte, in einem internationalen Wettbewerb, welcher Regierungschef der größte Corona-Leugner sei, gäbe es einen engen Dreikampf zwischen Trump, Bolsonaro und Magufuli.

Die partei-eigene Presse der CCM verbreitete wiederholt, der Kurs des Präsidenten finde international zunehmend Anerkennung und werde auch nachgeahmt, wie an den Lockerungen in der EU zu sehen sei.

Africanews (SA) 18.05.; Africareport 15.05.; DN 07.,17.05.; Deutsche Welle 04.05. Egyptindependent und Outlookindia 22.05.; issafrica Star (Kenia) 17.05.; Süddeutsche 19.05.;