Thema: Justizwesen in Tansania: Rechtsauffassung, Kritik - 02/2020

Aus Tansania Information
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Vertrauen in die Justiz

2017 ergab eine Twaweza-Umfrage, dass 74% der Befragten meinten, einflussreiche Personen wie Wohlhabende, Polizei- und Regierungsmitarbeiter oder religiöse Würdenträger würden vor Gericht nicht wie gewöhnliche Bürger bestraft. Als korruptionsanfällig gelten vor allem Gerichte auf Dorf- und Distriktsebene, wogegen die High Courts und das Appellationsgericht einen guten Ruf genießen.

Auf Sansibar wurden 2017/18 von 352 wegen Drogendelikten Angeklagten nur 10 Personen verurteilt. Bei 309 angeklagten Sexualdelikten wurde innerhalb eines Jahres keine einzige Verurteilung registriert.

Alle Versuche der oppositionellen Chadema, vor Gericht das Versammlungsverbot für Parteien anzufechten, scheiterte bisher an formalen Mängeln ihrer Anträge. Eine inhaltliche Entscheidung gab es noch nicht.

Der Oberste Richter I. Juma forderte alle im Rechtswesen Tätigen auf, ihre Arbeit gewissenhaft zu erledigen, um das Vertrauen in die Justiz wiederherzustellen. Die Bevölkerung müsse allerdings Amtsmissbrauch und Korruption sofort anzeigen, anstatt sich nur darüber zu beklagen.

Citizen 27.07.17; DN 29.01.18; Guardian 17.10.18; Mwananchi 22.08.18

Prozessabsprachen

Präsident Magufuli beauftragte den Öffentlichen Ankläger, Beschuldigten in Wirtschaftssabotage-Prozessen Absprachen anzubieten. Wer seine Schuld eingestehe, Schadensersatz leiste und Besserung gelobe, könne auf Vergebung hoffen. Manche der Unterschlagung, Veruntreuung, Geldwäsche oder Bestechlichkeit Beschuldigte sitzen seit vielen Jahren in Untersuchungshaft, wie der frühere Chef der Steuerbehörde, hohe Fußball-Funktionäre und in den Tegeta-Skandal verwickelte Unternehmer. Das Parlament verabschiedete ein entsprechendes Gesetz. Mehr als 700 Inhaftierte stellten einen solchen Antrag auf „plea-bargaining“. Der Oberste Richter ermahnte seine Kollegen, endlose Fristverlängerungen für Ermittlungen nicht mehr zu gewähren.

Citizen 05.10.19; DN 23.09.19; Mtanzania 27.10.19

Verständnis der Grundrechte

Die Anwaltskammer TLS wählte als Nachfolger der couragierten Anwältin Fatma Karume Dr. R. Nshala zum neuen Vorsitzenden. Er ist Mitgründer des „Umwelt-Aktionsteams der Anwälte“ LEAT. Er erklärte, die TLS sei zwar apolitisch, trete aber entschieden für Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung ein. Das Land werde derzeit durch Verordnungen regiert, Regierungskritiker würden unbegründet verhaftet und in lange Prozesse verwickelt. Tansania brauche eine Strafrechtsreform und müsse die Vorgaben der beiden Afrikanischen Chartas zu Menschenrechten und Demokratie respektieren. Erfreulich sei, dass das Justizministerium rechtswidrige Verhaftungen verurteilt habe, die von Regions- und Distriktskommissaren angeordnet worden waren. Diese können Personen für 48 Stunden in Haft nehmen lassen, wenn sie die öffentliche Ordnung bedroht sehen. Wiederholt wurden mit dieser Begründung auch Oppositionspolitiker und missliebige Personen festgesetzt.

Im März 2019 hatte der Oberste Richter I. Juma die Anwaltsvertretung auf beispiellose Weise brüskiert, indem er der damaligen TLS-Präsidentin F. Karume nicht gestattete, ihre Ansprache zum Tag des Rechts vorzutragen [vgl. TI März 19, S. 2f]. Sie prangerte darin zahlreiche Fälle von Rechtsbeugung an. Das tansanische Rechtswesen sei durch die Regierungshörigkeit der Justiz „geschändet“. Der Präsident habe es versäumt, die Verfassung entsprechend seinem Amtseid zu verteidigen.

Die Anwaltskammer wandte sich vehement gegen einen Gesetzentwurf, der interne Regelungen von der Zustimmung des Generalstaatsanwalts abhängig machen und den Einfluss des Justizministers stärken soll. „Twaweza“ sieht die Unabhängigkeit der TLS gefährdet und verlangt, ihre volle Selbstbestimmung zu erhalten. Auch eine staatliche Registrierungsbehörde, die über die Zulassung von Anwälten entscheiden soll, lehnt die TLS ab.

Der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte lud zu einem Dialog ein über Menschenrechte im Spannungsfeld zwischen afrikanischen Kultur- und Rechtstraditionen und moderner Rechtsauffassung. Die von den UN verkündeten Menschenrechte kollidierten immer wieder mit überlieferten Auffassungen (Dominanz des Stärkeren, Unterordnung der Frauen, Kinder- und Verwandtenehen, Brautpreis). Besonders problematisch seien westliche Vorstellungen zu Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Ehen). Mehrfach wurde die Meinung vertreten, zunehmende wirtschaftliche Entwicklung führe automatisch zu mehr Beachtung der Menschenrechte. Dringend sei es, die politischen und wirtschaftlichen Ursachen für immer neue Fluchtbewegungen zu beseitigen.

Citizen 06.07.17; 04.07.18; 19.01.20; DN 11.09.17; 30.01; 03.,31.10.; 03.11.; 12.12.19; East African 02.05.19; Guardian 17.06.17; Mwanahalisi 08.02.19

Todesstrafe, Folter

Präsident Magufuli erklärte, er werde während seiner Amtszeit keine Todesurteile unterzeichnen. Menschenrechtsorganisationen forderten das Parlament wiederholt auf, die Todesstrafe auch formal abzuschaffen. Ähnliches forderte der Rechtsausschuss des Parlaments und der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte. Die Todesstrafe wurde in Tansania 1994 zum letzten Mal vollstreckt und muss nach geltendem Recht bei erwiesenem Mord verhängt werden.

Oppositionsabgeordnete verlangten, Tansania solle der Internationalen Konvention gegen Folter beitreten und seine Polizeikräfte entsprechen schulen. Sogar bei unbedeutenden Vergehen müssten Bürger rüde und demütigende Verhörmethoden erdulden. Das Rote Kreuz erstellte eine Kiswahili-Übersetzung der „Luanda-Richtlinien“ vor, in denen die Afrikanische Union die Rechte Beschuldigter schützt.

Ein 55-Jähriger, der 2017 nach 43 Jahren Haft begnadigt wurde, berichtete, er sei im Alter von 12 Jahren verhaftet und gezwungen worden, seine Beteiligung an einem Mord zu gestehen, von dem er nichts wusste. 1974 sei er zum Tod verurteilt und 1979 zu Lebenslänglich begnadigt worden.

Citizen 24.05.; 12.,13.09.; 13.10.17; DN 02.,27.04.; 01.10.; 15.12.17