Thema: Bildung und Ausbildung I: Bildungspolitik - 01/2017

Aus Tansania Information
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Einschätzungen

Die Ministerin für Bildung und Wissenschaft Prof. J. Ndalichako hält das tansanische Bildungssystem für reformbedürftig. Ziel seien kompetente und innovativ denkende Arbeitskräfte, die im globalen Rahmen wettbewerbsfähig sind. Dazu müssten beträchtliche Herausforderungen gemeistert werden: Noch längst hätten nicht Alle gleichen Zugang zu Bildungswegen; die Qualität der Bildungseinrichtungen sei dürftig; es fehle an technischer Ausstattung, Literatur und kompetentem Personal.

Ndalichako stimmte der Feststellung der NRO „Hakielimu“ (www.hakielimu.org) zu, dass das Bildungsniveau der Schüler/innen in den letzten Jahren gefallen sei. Dies sei auf die schnelle Expansion durch die Entwicklungspläne für Primar- und Sekundarschulen zurückzuführen und durch den kostenfreien Schulbesuch nochmals verstärkt worden. Die Zahl der Grundschul-Lehrkräfte sei in den letzten 10 Jahren von 132.500 auf 180.500 gestiegen, die der Sekundarschul-Lehrer von 20.700 auf 80.500. Den quantitativen Fortschritten müssten nun qualitative folgen.

Eine Umfrage von Twaweza (www.twaweza.org/reality check) ergab als Hauptprobleme der Schulen: Desinteresse der Eltern (85%), mangelhafte Ausstattung (83%), undisziplinierte Schüler (79%), Mangel an qualifizierten Lehrkräften (65%) und unzureichende Lehrpläne (62%). Immerhin sagen 50%, der Zustand der staatlichen Schulen habe sich mit der Kostenfreiheit verbessert, während 15% eine Verschlechterung sehen. Insider begrüßen, dass die Pro-Kopf-Zuweisung nun direkt an die Schulen geht (früher kamen dort nur etwa 20% davon an). Allerdings reiche sie nicht aus; z.B. müssten Sicherheitsdienste oft eingeschränkt werden. Grundschulen erhalten pro Schüler TZS 10.000 im Jahr, Sekundarschulen TZS 25.000; für Internatsschüler werden TZS 70.000 gezahlt, jede Mahlzeit mit TZS 1.500 abgegolten. ( Anm.: Die Sätze dürften kaum kostendeckend sein.)

Zwei Professoren des „Instituts für Finanzverwaltung“ erkannten gewisse Fortschritte im Bildungswesen an, meinen jedoch, dass die meisten Absolventen den Anforderungen nicht entsprächen. Ursächlich dafür seien einerseits unfähige Leiter von Bildungseinrichtungen, andererseits Studierende, die sich mehr für Internet-Surfen interessierten als für seriöses Lernen. Sie bemühten sich weniger um ein Begreifen der Lerninhalte als um gute Examensnoten.

Die Weltbank beglückwünschte Tansania dazu, dass fast 100% der Kinder eine Grundschule besuchen, bedauerte aber, dass ¼ der Viertklässler einen Kiswahili-Text nicht lesen könnten. Die Präsenz der Lehrkräfte in ihrer Schule verbesserte sich um 40%, obwohl immer noch 37% zwar in der Schule, aber nicht in ihrer Klasse angetroffen wurden. Bedenklich sei auch der Wissensstand der Lehrer/innen: Nur jede/r Fünfte beherrsche seinen Lehrstoff. Im letzten Jahr hat die Weltbank Tansania $ 1 Mrd. für Bildung, Soziales und Gesundheit zur Verfügung gestellt. Die Regierung wendet im laufenden Finanzjahr TZS 131 Mrd. für die kostenlose Schulbildung auf. Dies deckt aber nur in etwa die Kosten, die vor dem starken Anstieg der Schülerzahlen anfielen. Im nächsten Haushaltsjahr soll der Ansatz verdoppelt werden.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Mun lobte Tansania für seine Bildungsanstrengungen als exemplarisches Land. Es investiere bereits jetzt wesentlich mehr in die junge Generation als die fünf Haushaltsprozente, die die UN für Entwicklungsländer anstreben.

Sansibar feierte 52 Jahre kostenlose Vor- und Grundschul-Bildung. Die Zahl der Vorschulen sei seit 1964 von einer auf 286 angewachsen, die der Grundschulen von 62 auf 365 und die der Sekundarschulen von 5 auf 281. Problematisch seien noch fehlende Lehrkräfte und lückenhafte Ausstattung der Schulen.

Citizen 05.05.; 08.11.16; DN 20.,25.09.; 05.,26.12.16; Guardian 05.05.16; World Bank Press Release 27.05.16

Niveau-Probleme

Seit März 2016 wird die Zulassung zu Hochschulen mit Hilfe einer elektronischen Datenbank geregelt (Central Admission System – CAS). Sie soll das Verfahren beschleunigen, Mehrfachzulassungen verhindern und gefälschte Zeugnisse entdecken.

Die 51 Hochschulen finden wegen des gesunkenen Niveaus an den Sekundarschulen nicht genug qualifizierte Studienanfänger. Die Uni Dar-Es-Salaam erwog daher, mit propädeutischen Kursen Bewerber mit Mittlerer Reife für ein Studium zu qualifizieren. Die Uni-Didaktiker beklagten den Niedergang an den allgemeinbildenden Schulen: „Wir sind mit Hauptschul-Abgängern konfrontiert, die kaum ihren Namen schreiben können“. Es fehle ein Bildungskonzept für eine moderne Gesellschaft. „Tanzania Education Network“ stellte fest: „Das Bildungsniveau in diesem Land ist drastisch gesunken, weil zu viele unqualifizierte (Lehrer-)Studenten zugelassen wurden“.

Dennoch will die Bildungsministerin die Zahl der Studierenden drastisch steigern, von jetzt 224.080 auf 468.530 in 2020. Während derzeit 3,3% eines Jahrgangs studieren, sollen es am Ende des Zweiten Fünfjahresplans 2021 6,9% sein. Dann will Prof. Ndalicho jährlich 80.000 Hochschul-Absolventen erreichen, davon 56% in naturwissenschaftlich-technischen Fächern. Zugleich sollen Kenntnisstand und praktische Fähigkeiten der Akademiker deutlich verbessert werden.

Nach einem Streik der Professoren entdeckte das Bildungsministerium, dass von 8.000 an der Universität Dodoma (UDOM) für einen Diplom-Kurs in Erziehungswissenschaft zugelassenen Studierenden nur 382 die erforderliche Mindestqualifikation besaßen. Etwa 6.000 von ihnen wurden daraufhin auf verschiedene Lehrer-Colleges verteilt, 1.500 waren selbst dafür unterqualifiziert. Nicht Wenige erwiesen sich als Kinder von Funktionären. Der gescheiterte Diplom-Kurs sollte den Mangel an Lehrkräften in naturwissenschaftlichen Fächern lindern. Die UDOM machte Regierungsstellen für das Fiasko verantwortlich: Sie sei zu dem von vorn herein zum Scheitern verurteilten Schnellkurs gezwungen worden.

Die Universitätskommission (TCU) verbot der katholischen St. Joseph University (SJUIT) und der Internationalen Medizinisch-Technischen Uni in DSM (IMTU), neue Studenten anzunehmen, solange wesentliche Unzulänglichkeiten nicht beseitigt sind. Die IMTU hat nach einem Mietstreit keine festen Gebäude. Die Filialen von St. Joseph in Arusha und Songea waren bereits vorher wegen schwerer Leistungsmängel geschlossen worden. Die SJUIT hatte dazu noch 489 Studenten ohne bestandenen Sekundarschulabschluss akzeptiert.

Die TCU legte angesichts schwindender Schulkenntnisse fest, dass für ein Studium mindestens zwei Fächer im Sekundarschulabschluss (Form VI) bestanden sein müssen. Die Wirtschaft verlangt strengere, die um Studenten bangenden Hochschulen mildere Kriterien.

Sieben Bildungsinstitute, die Lehrerstudenten für ein Universitätsstudium qualifizieren sollten, wurden zu Lehrerkollegs zurückgestuft, weil sie den Anforderungen nicht entsprachen. Auch die „Special Advanced Diplomas“, die Form-IV-Absolventen ein erziehungswissenschaftliches Studium ermöglichten, wurden wieder abgeschafft, weil sie den Studierenden nicht die nötigen Kenntnisse vermitteln konnten.

Der „Rat für Technische Bildung“ (NACTE) schloss 48 Colleges, die pädagogische, medizinische und kaufmännische Lehrgänge anboten. Sie hatten ungenehmigte Lehrpläne verwendet und unterqualifiziertes Lehrpersonal beschäftigt. Manche hatten überhaupt keine staatliche Lizenz; in einem besonders bizarren Fall dienten die Räumlichkeiten eines College für Gesundheitswesen nachts als Bar. Weitere 112 Institute müssen ihre Lizenz erneuern. Der NACTE warnte alle Eltern davor, ihre Kinder an zweifelhaften Instituten anzumelden.

Eine Twaweza-Untersuchung an 200.000 Grundschülern Ende 2016 ergab, dass der Lernerfolg signifikant vom Ernährungszustand abhängt. Dies stimmt bedenklich, weil im Rahmen der kostenlosen Schulbildung Speisungsprogramme entfallen.

Citizen 16.,21.11.; 23.12.16, Guardian 05.12.15; 04.03.; 03.04.; 31.05.; 20.07.; 03.08.; 16.11.; 06.12.16; DN 20.,21.07.16

Didaktik, Curricula, Benotung

Prof. M. Mbilinyi vom Tanzania Gender Networking Programme sieht das Lernen in Tansania bestimmt vom Memorieren unzusammenhängender Fakten, Unselbständigkeit und Einschüchterung. Eine dynamische Gesellschaft aber brauche Verständnis von Konzepten, Neugier, kritisches Denken, Kreativität und selbstbestimmtes, lebenslanges Lernen. Fortschritt gebe es nur, wenn die veraltete Mischung von Furcht, Einschüchterung und Gewalt in Familien und Schulen aller Stufen überwunden werde.

Der Umweltrat will Umwelterziehung in die Lehrpläne aller Schulen einarbeiten. Nur so könne man die durch Unwissenheit verursachte Zerstörung der Umwelt aufhalten.

Bildungsministerin Ndalichako führte das 2014 abgeschaffte vierstufige Notensystem wieder ein (Division I bis IV). Das zwischenzeitlich verwendete Punktesystem habe Verwirrung gestiftet.

Citizen 21.01.; 10.05.16; Guardian 23.01.16

Finanzierung

Die Magufuli-Regierung plant, die Ausgaben für Bildung erheblich zu steigern. 2016/17 sind mit TZS 4,77 Bill. ganze 22% des Staatshaushalts dafür verplant. Es bleibt jedoch ungewiss, ob angesichts sehr optimistischer Einnahme-Erwartungen und stark gestiegener laufender Kosten viel Spielraum für Reformen bleibt.

Hakielimu forderte die Regierung auf, mehr Finanzmittel in die Infrastruktur zu stecken (Klassenräume, Lehrerhäuser, Toiletten, Labore, Schlafräume). Fast 90% des Budgets dienten laufenden Ausgaben. Die NRO regte auch eine Regulierungsbehörde für Bildungsfragen an, um Kontinuität in die Entwicklung zu bringen und erratische Kursänderungen zu vermeiden. Auch die Lehrergewerkschaft TTU forderte fortlaufende Investitionen in Bildung, Bezahlung und Wohnung der Lehrkräfte. Dies wirke sich stärker auf den Bildungserfolg aus als öffentlichkeitswirksame Kampagnen wie die für Schulbänke. Auch die gefeierte kostenfreie Schulbildung habe problematische Nebenwirkungen: Eltern und Bürger wollen auch den kleinsten Beitrag nicht mehr leisten.

Citizen 08.11.16; Guardian 15.04.; 14.08.; 22.11.16

Studiendarlehen

Die Behörde für staatliche Studiendarlehen (Higher Education Students’ Loans Board - HESLB) muss unter der Magufuli-Regierung effizienter arbeiten. Die Rückzahlungsraten werden jetzt konsequent eingefordert und zwar in doppelter Höhe: 15% des Gehaltes statt bisher 8%. Selbständige tilgen mit 10% ihres versteuerten Einkommens, mindestens jedoch TZS 120.000 monatlich. Arbeitgeber müssen die Raten für die HESLB einziehen und haften dafür.

Eine Überprüfung des HESLB ergab, dass die Behörde selbst sehr schlampig arbeitete und ihre Daten nicht pflegte. Daher tilgten Manche nie ihre Schulden, andere wurden mehrfach zur Kasse gebeten. Von 380.000 Darlehensnehmern zahlen derzeit nur etwa 81.000 ihren Kredit ab. Das HESLB-Internetportal brach unter dem Ansturm irritierter Kreditnehmer zusammen, die sich auf der „Liste der Schande“ sahen. Viele sollten innerhalb von 30 Tagen zahlen, obwohl sie überzeugt sind, alles geregelt zu haben. Sie vermuten, dass überhöhte Rückforderungen veruntreute Gelder verschleiern sollen. Zu Semesterbeginn konnte nur 1/3 der Studienanfänger regulär beginnen, da für den Rest kein Darlehensgeld vorhanden war. Einige legten gefälschte Sterbeurkunden ihrer Eltern vor, um als Waisen vorrangig ein Darlehen zu erhalten.

31 Höhere Lehranstalten müssen TZS 3,8 Mrd., die sie für 2.192 fiktive Studierende erhalten hatten, zurückzahlen.

400 Absolventen der katholischen Mwenge-Universität in Moshi erhielten ihre Zeugnisse noch nicht, weil die Gebühren von TZS 650.000 für das Abschluss-Semester noch nicht bezahlt sind. Einige von ihnen schulden das Geld privat, die Meisten hängen von Darlehen des HESLB ab, die seit Juli ausstehen.

Die Probleme mit staatlichen Studiendarlehen werden sich weiter verschärfen, weil die Regierung naturwissenschaftliche und technische Studiengänge bevorzugt fördern will, wodurch Studierende anderer Fächer plötzlich leer ausgehen könnten.

Citizen 31.08.; 16.,18.11.16; DN 30.08.; 09.,22.11.16; Guardian 17.11.; 27.12.16