Innenpolitik ‐ 01/2022: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 10. Januar 2022, 08:49 Uhr

Tansania 60

Am 10. Dezember beging Tansania den 60. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. 1961 war das UN-Treuhandgebiet Tanganyika von der Mandatsmacht Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen worden. Prinz Philipp überreichte dem Premierminister Nyerere die entsprechende Urkunde, die um Mitternacht in Kraft trat. Jetzt fand eine Festveranstaltung im Uhurustadiom von Dar es Salaam statt, bei der Präsidentin Samia vier Staatsoberhäupter benachbarter Länder begrüßte: Uhuru Kenyatta (Kenia), Paul Kagame (Ruanda); Filipe Nyusi (Mosambik) und Azali Assoumani (Komoren). Samia hatte bereits im Vorfeld in einer längeren Rede das Erreichen höherer Einkommen als die große Herausforderung für das Land bezeichnet. Als Erfolge zählte sie Stabilität und Frieden im Lande auf, ferner den demokratischen Machtwechsel durch freie Wahlen und die geltende Meinungsvielfalt. In den sozialen Medien gab es klaren Dissens gegen die beiden letzteren Behauptungen. Auch wurde darauf hingewiesen, dass 2021 sich die Unabhängigkeit Tanganjikas zum 60. Male jährt, nicht aber die Tansanias. Tansania wurde erst 1964 durch den Zusammenschluss Tanganjikas und Sansibars gegründet.

Ein Kommentar der südafrikanischen Zeitschrift The Conversation war überschrieben „Tansania – ein Modell für Koexistenz, zurückgehalten von politischer Erstarrung“. Tansania habe es im Unterschied zu vielen afrikanischen Staaten geschafft, trotz ethnischer Vielfalt ein Nationalbewusstsein zu schaffen, das die religiösen und kulturellen Unterschiede zusammenhält. Die nach außen regelmäßigen Wahlen seien von einer Einschränkung der politischen Spielräume begleitet gewesen. Die Verbesserung der materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der Bevölkerung stehe noch aus.

AFP 09.12.2021, Citizen 10.12.2021, Jamiiforums 09.+10.12.2021, The Conversation 06.12.2021, Xinhua 10.12.2021

Amnestie

Aus Anlass des Unabhängigkeitsjubiläums begnadigte Präsidentin Samia 5.704 Strafgefangene, die bereits mindestens ein Viertel ihrer Haftzeiten abgesessen hatten.

Mwananchi 27.12.2021

Politischer Dialog

Mitte Dezember fand in Dodoma die mehrfach angekündigte und immer wieder verschobene Tagung der Registrierungsbehörde für Politische Parteien mit Parteivertreten statt. Die Behörde hatte sie als Treffen mit dem Kommandeur der Polizei und allen Parteien angekündigt, um über Bedingungen für die Wiederzulassung politischer Veranstaltungen zu reden. Im Vorfeld hatte die stärkste Oppositionspartei Chadema gemeinsam mit der NCCR (eine der ältesten Oppositionsparteien) ihren Boykott erklärt; es gebe mit der Polizei nichts über ein verfassungsmäßiges Grundrecht zu diskutieren. Außerdem sei die politisch motivierte Terrorismusanklage gegen den Chademavorsitzenden Mbowe inakzeptabel. Ursprünglich hatte Präsidentin Samia Suluhu Hassan nach ihrem Amtsantritt erklärt, sie wolle sich demnächst mit den Oppositionsparteien treffen. Dazu kam es aber nicht, im Gegenteil setzte eine erneute Welle von Repressionen vor allem gegen die Chadema ein, als diese eine Kampagne für eine neue Verfassung starten wollte.

An dem Symposium im Dezember nahmen seitens der Parteien also die CCM, die auf Sansibar starke ACT-Wazalendo sowie mehrere kleinere Parteien teil; außerdem Vertreter religiöser Organisationen und einige Einzelpersönlichkeiten. Chadema und NCCR blieben bei ihrem Boykott. Die Tagung wurde von Präsidentin Samia mit einer Rede eröffnet und vom sansibarischen Präsidenten Mwinyi geschlossen. ACT-Führer Zitto Kabwe richtete bei der Eröffnung als amtierender Vorsitzender des Allparteienforums „Zentrum für Demokratie“ einen Appell an die Präsidentin, das Verfahren gegen Mbowe einzustellen, so wie sie es auch aus Sansibar kenne, wo jeweils nach verletzenden Wahlkämpfen politische Strafverfahren nach der Wahl eingestellt wurden, um zu einer nationalen Aussöhnung zu kommen.

Samia verwies in ihrer Antwort auf die Unabhängigkeit der Justiz, deutete aber an, dass eine Begnadigung infrage käme.

In der Eröffnungsrede versuchte die Präsidentin, auf einen Neuanfang zu setzen und Fragen nach den Wahlmanipulationen und Repressionen der Vergangenheit auszuweichen. „Wir sollten an einem neuen Tansania bauen, in dem sich alle gegenseitig respektieren. Ich bin bereit zuzuhören, Kritik zu akzeptieren und zu vergeben. Sie sollten bereit sein, sich an die Gesetze zu halten.“ Die Parteienbehörde und die Polizei sollten sich mit den politischen Parteien zusammensetzen und sich auf ein Verfahren einigen, politische Versammlungen wieder zuzulassen.

Am Ende des Symposiums einigte man sich auf einige Resolutionen. Die Gesetze über die Befugnisse der Polizei und über Politische Parteien müssten überarbeitet werden; auch müsse gesichert werden, dass Wahlkommission unparteiisch arbeitet. Nicht näher genannte Verfassungsbestimmungen sollten korrigiert werden. Eine Arbeitsgruppe soll innerhalb von einem Monat detaillierte Vorschläge machen.

Während Zitto Kabwe die Veranstaltung als hoffnungsvollen Fortschritt würdigte, gab es auch scharfe Kritik in den sozialen Netzen und von den beiden ferngebliebenen Parteien. Auf Diskussionsforen wurde gefragt, wie die Präsidentin denn dazu käme, politische Veranstaltungen zu erlauben, wo die Versammlungsfreiheit als Grundrecht aller Tansanier doch in der Verfassung steht. Wo hätte es denn die Versammlungen gegeben, auf denen Gesetze gebrochen wurden? Chadema und NCCR erklärten, dass ohne eine neue Verfassung alle Beschlüsse der Konferenz nur Stückwerk seien, die nichts an den Zuständen ändern würden.

Zitto Kabwe verteidigte die Beschlüsse und legte seine Hoffnung in die kommende Versammlungsfreiheit sowie eine unabhängigere Wahlkommission, mit der dann freiere Wahlen möglich werden. Angesichts der CCM-Mehrheit von über 90% im derzeitigen Parlament sei es illusionär, unter den jetzigen Verhältnissen eine sinnvolle Verfassungsreform zu erwarten. Erst eine Neuwahl könne eine wirkliche Wahlkommission bringen, der man die Aufsicht über die Volksabstimmung zur neuen Verfassung anvertrauen könne.

Citizen 17.+19.12.2021, DN 15.12.2021, East African 25.12.2021, Guardian 18.12.2021, Jamiiforums Dezember

2021, The Chanzo 20.12.2021

Verfassungsdebatte

Die Debatte um eine neue Verfassung hat durch Äußerungen aus der Regierungspartei CCM wieder etwas Aufwind bekommen. Auf dem Symposium der politischen Parteien im Dezember sprach sich der ehemalige Premierminister und Richter Joseph Warioba (CCM) wieder für die Fertigstellung der Verfassung aus. Der ehemalige Premierminister und heutige Angehörige des CCM-Zentralkomitees Mizengo Pinda erklärte, er würde sich immer schämen, wenn 90% Wahlsiege seiner eigenen Partei verkündet werden, da jeder wisse, dass dies unmöglich ist. Auf Twitter und in sozialen Netzen äußerten sich wieder Vertreter der Zivilgesellschaft, die unter Magufulis Regierung verstummt waren. Präsidentin Samia hatte im Mai gesagt, für sie müsse die Verfassung bis zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage warten.

Citizen 18.12.2021, Mwananchi 24.+28.12.2021

Konflikt um Verschuldung

Parlamentspräsident Job Ndugai tanzte unerwarteterweise aus den normalerweise geschlossenen Reihen der Regierungspartei CCM und kritisierte die Verschuldung des Landes. „Mama (=Samia) hat wieder 1,3 Trillionen (€ 520 Mil.) geliehen und manche freuen sich darüber… Unsere Schulden stehen bereits bei 70 Trillionen (€ 28 Mrd.), ist das gesund? Eines Tages wird dieses Land noch versteigert werden.“ Die Äußerung wurde weit kommentiert und als direkte Attacke auf die Präsidentin verstanden. Ndugai hatte sich zur Steuer auf telefonische Geldüberweisungen geäußert; er hat schon öfters empfindlich auf Kritik an Parlamentsbeschlüssen reagiert. Hier argumentierte er, es sei besser wenn die Tansanier mit eigenen Steuermitteln das Land entwickeln, als dafür Schulden zu machen. Ob ihm dabei die direkte Nennung der Präsidentin nur herausgerutscht war, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls wurde ihm in den sozialen Netzen entgegengehalten, dass er unter dem verstorbenen Magufuli dessen massive Kreditaufnahme nie kritisierte. Magufuli hatte auch mehrfach kommerzielle Kredite aufgenommen, da er sich nicht gerne von internationalen Organisationen wie der Weltbank, die Kredite zu günstigeren Bedingungen vergeben als der freie Markt, in seine Entscheidungen hineinreden lassen wollte.

Die Präsidentin reagierte umgehend auf die Diskussion und begründete eine neuerliche Kreditaufnahme anlässlich der Unterzeichnung des Vertrages zum Bau der Bahnstrecke von Dodoma nach Tabora. Die Kosten belaufen sich $1,9 Mrd. Nachdem das Land bereits viel Geld in die noch im Bau befindlichen Schnellbahnabschnitte von Dar es Salaam bis Dodoma und von Mwanza bis Tabora gesteckt hat, müsse das Projekt zuende geführt werden.

In der Presse äußerte sich eine Reihe von Wirtschaftswissenschaftler, die den derzeitigen Stand der Verschuldung noch nicht für bedenklich halten. Die Gesamtverschuldung liege bisher noch unter 30% des Bruttosozialprodukts; erst 70% gelten als unhaltbar.

Die oppositionelle Rechtsanwältin Fatuma Karume kommentierte, Ndugais Kritik sei ein Zeichen dafür, dass man innerhalb der CCM die Präsidentin nicht respektiert.

Citizen 31.12.2021, Jamiiforums 28.12.2021, Mwananchi 24.+28.12.2021

Gemächlicher Abschied von der Zensur

Der stellvertretende Minister für Verfassungsfragen Amon Mpanju kündigte Anfang Dezember auf einem Menschenrechtsforum eine baldige Entscheidung über die noch verbotenen Zeitungen und Sender an. Es sei das Ziel der Präsidentin, die Pressefreiheit wieder herzustellen. Samia hatte bereits im April eine entsprechende Ankündigung gemacht. Bisher sind einige Zeitungsverbote aufgehoben worden. Ein Verfahren zur Änderung der unter dem verstorbenen Präsidenten Magufuli verabschiedeten Zensurgesetze ist bisher nicht eingeleitet worden.

Mwananchi 07.12.21

Maulkorb für Polepole

Der ehemalige CCM-Sekretär für Propaganda und jetzige Abgeordnete Humphrey Polepole muss seinen Youtubekanal „Schule für (politische) Führung“ einstellen. Polepole war von Samia nach ihrer Amtsübernahme als Parteivorsitzende aus dem CCM-Hauptquartier auf einen Abgeordnetenposten abgeschoben worden und hatte mehrfach versucht, sich als Bewahrer von Magufulis Erbe und Impfgegner zu profilieren. Er hatte zuletzt auf seinem Youtubekanal gegen Staatsverschuldung und ungenannte Gegner polemisiert, denen er politisches Gangstertum vorwarf, und insbesondere wiederum ungenannten Regional- und Distriktskommissare brutalen Vorgehens bei der Vertreibung der Straßenhändler aus den Innenstädten vorgeworfen. Polepoles Kanal wurde jetzt von der Medienaufsicht wegen „Falschinformation“ die Lizenz entzogen.

In sozialen Medien schlugen einige Nutzer Solidaritätsbekundungen vor, da Zensur immer falsch sei. Zahlreiche Gegenmeinungen gingen dahin, man solle ihn seine eigene Medizin schmecken lassen, da er unter Magufuli zu den lauten Verfechtern der Zensurgesetze zählte. Wie es sich in Tansania gehört, bedankte sich Polepole bei der Behörde. Ihm wurde des Weiteren ein Parteiordnungsverfahren in der CCM angekündigt.

Citizen 17.12.2021, Jamiiforums 18.12.2021