Innenpolitik ‐ 09/2024
Tag der Jugend
Am 10.08.2024 feierte die Regierungspartei Chama cha Mapinduzi (CCM) auf Sansibar groß den Tag der Jugend. Die Oppositionspartei Chadema hatte ein vergleichbares Fest in Mbeya für den 12.08.2024, den offiziellen internationalen Tag der Jugend, geplant und entsprechend junge Menschen dorthin eingeladen. Erwartet wurden ca. 10.000 Jugendliche, die sich unter dem Motto „Nehmt eure Zukunft in die Hand“ versammeln sollten. Bereits am Abend des 10.08.2024 kam es zu den ersten Verhaftungen. Durch die sozialen Medien gingen Fotos von Chadema-Jugendlichen, die in Polizeilastwägen in „Übergangsgefängnisse“ abtransportiert wurden. Die Polizei begründete die Verhaftungen mit der vermeintlichen Aufforderung von Twaha Mwaipaya, dem Jugendfunktionär der Chadema, an die Jugend, nach Mbeya zu kommen und nach dem Vorbild der Gen-Z in Kenia Stellung gegen die Regierung und ihren Klientelismus zu beziehen. Die Polizei wertete den Aufruf als Aufforderung zum gewalttätigen Aufruhr. Die Verhaftung auch mehrerer Chadema-Führer veranlasste Tundu Lissu, den Justitiar der Chadema, sich auf den Weg nach Mbeya zu machen, um sich mit den Verhafteten zu solidarisieren.
The Chanzo, 11.08.2024
Am Abend des 11.08.2024 wurden Tundu Lissu, Parteisekretär John Mnyika, Joseph Mbilinyi (Sugu), Parteisekretär der Region Nysa in Mbeya, der stellvertretende Jugendfunktionär Moza Ally und Jugendkoordinator Twaha Mwaipaya verhaftet, als sie das Gespräch mit der Polizei von Mbeya suchten, um gemeinsam zu deeskalieren und Lösungen zu suchen, denn bereits in den frühen Stunden des Tages waren von der Polizei ebenso wie vom Parteienregistrierungsbüro alle Versammlungen und Demonstrationen zum Internationalen Tag der Jugend am 12. August verboten worden. Der Parteivorsitzende der Chadema, Freeman Mbowe, verlangte die sofortige und bedingungslose Freilassung der Parteifunktionäre, ersuchte Präsidentin Hassan einzugreifen und wurde gleichfalls in Gewahrsam genommen. Zum dritten Mal hatte die Partei eine bestimmte Region für die Feier des Internationalen Tags der Jugend ausgewählt (2022: Shinyanga, 2023: Mwanza), zu der Hunderte junger Menschen angereist waren.
The Chanzo/The Africa Report, 12.08.2024
Am Morgen des 13.08.2024 verkündete die Polizei, dass sie 520 Chadema-Mitglieder aus Polizeigewahrsam wieder entlassen habe. Sie seien verhaftet worden, weil die Parteiführung dazu aufgerufen habe, dem Beispiel Kenias zu folgen, und die Jugend gegen das Establishment habe aufhetzen wollen. Gemäß der Volkszählung von 2022 sind in Tansania 67 % der Bevölkerung zwischen 15 und 35 Jahre alt.
Gleichfalls am 13.08.2024 veröffentlichte die amerikanische Botschaft eine Mitteilung, in der sie die Einhaltung freier Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit verlangte. Da dies jedoch erst nach einer entsprechenden Stellungnahme von Amnesty International vom Vortag erfolgte, kritisierten regierungskritische Stimmen in den sozialen Medien den amerikanischen Vorstoß als zu spät und zu lasch. Die Angst vor der Rückkehr des Autoritarismus à la Magufuli nimmt zu.
TheChanzo/The African Report, 13.08.2024
Der Chadema-Vorsitzende Freeman Mbowe kündigte an, dass die Partei den verantwortlichen Polizeichef Awadh Haji und den stellvertretenden Chef des Parteienregistrierungsbüros Sisty Nyahoza wegen Polizeigewalt gegenüber Parteiführern und -anhängern auf Schadenersatz verklagen will. Auf der Pressekonferenz erklärte Chadema-Parteisekretär John Mnyika Präsidentin Hassans „Versöhnung“ zur Illusion. Die Polizisten hätten sich bei ihren willkürlichen Verhaftungen wie Gangster benommen, ihre Opfer getreten, mit Stöcken geschlagen und mit Tazern beschossen. Für das Maß dieser Gewaltanwendung gäbe es keine Rechtfertigung. Tundu Lissu berichtete von ähnlichen Vorgängen. Es stelle sich die Frage ob die Präsidentin wissentlich falsche Versprechungen gemacht habe oder nicht wisse, was ihre Untergebenen täten.
The Chanzo, 14.08.2024
Der Twaweza-Bericht
Am 16.08.2024 präsentierte Aidan Eyakuze, der Geschäftsführer der Twaweza, mit “A Compendium of Ten Years of Sauti za Wananchi” in Dar es Salaam die Ergebnisse einer über zehn Jahre erfolgten Bevölkerungsbefragung in den ostafrikanischen Ländern Kenia, Uganda und Tansania. Twaweza ist eine gemeinnützige Organisation, die die Bürger der Kernmitglieder der Ostafrikanischen Gemeinschaft zu mehr politischem Engagement und ihre Regierungen zu mehr Offenheit und größerer Responsivität motivieren will.
Zusammenfassend berichtet Aidan Eyakuze in seiner Analyse, dass Tansanier weniger gegen ihre Regierung protestierten, weil sie sich größtenteils außerhalb des Steuersystems befänden und keine Steuern zahlten; in Kenia sei aber die Mehrheit der Bevölkerung durch das Steuersystem erfasst. Zwar gelte Kenia als das kapitalistischste Land in Ostafrika und Uganda als das unternehmerischste, doch die Zahlen zeigten, dass in Tansania 38 % der Bürger ihr Einkommen selbstständig erwirtschaften, in Kenia 19 % und in Uganda 18 % - Nyereres Sozialismus sei in Tansania gänzlich verschwunden. Kenianer seien berüchtigt für ihren Tribalismus und tatsächlich identifizierten sich nur 26 % der Befragten mit ihrem Land – in Uganda seien es 52 % und in Tansania 63 % gewesen. Doch danach gefragt, was ihrer Meinung nach eindeutig ihre Nationalität repräsentiere, hätten Kenianer völlig unethnisch ihren Personalausweis genannt, Ugander und Tansanier hingegen Friedlichkeit, Einheit, Gastfreundschaft sowie Religion und kein einziges materielles Symbol. Nach den Werten gefragt, die an die nächste Generation weitergegeben werden sollten, nannten Kenianer und Tansanier Toleranz und Respekt, Ugander hingegen Fleiß. In ganz Ostafrika habe ein viel zu großer Teil der Bevölkerung Ernährungssicherung als größten Stressfaktor bezeichnet und 25-40 % der Befragten hätten zuletzt aus Geld- oder Ressourcenmangel einen ganzen Tag ohne Essen auskommen müssen. Als Fazit nannte Eyakuze, dass die Waswahili in Tansania derzeit offenbar am besten dastünden.
The Chanzo, 13.08.2024/EastAfrican 17.08.2024
Erneute Kabinettumbildung
Entlassen wurden die Ministerinnen Angela Kairuki (Ressourcen und Tourismus) und Ummy Mwalimu (Gesundheit). An ihre Stellen kehren die früheren Minister Palamagamba Kabudi und William Lukuvi ins Kabinett zurück. Sie waren im Januar 2022 entlassen worden. Kabudi übernimmt das Justizministerium. Er muss sich insbesondere um Schiedsgerichtsverfahren kümmern, die das Land viel Geld kosten (kürzlich musste Tansania an die australische Firma Indiana Resources Ltd. 90 Mio. $ überweisen). Auf Kabundi gehen die Neuerungen im Bergbau zurück, die einen 16-%-igen Staatsanteil an jedem Bergbauprojekt erforderlich machen. Lukuvi ersetzt als Staatsminister für Programm, Parlament und Koordination im Büro des Premierministers und somit als Haupteinpeitscher des Parlaments Jenista Mhagama, die in das Gesundheitsministerium wechselt und von Ummy Mwalimu übernimmt. Mwalimu musste gehen wegen der Schwierigkeiten mit dem National Health Insurance Fund und der Entscheidung des Aga-Khan-Krankenhauses, keine NHIF-Patienten mehr zu behandeln. Als Ministerin für Tourismus und Bodenschätze übernimmt Pindi Hazara Chana von Angela Kairuki, die in das Beraterteam der Präsidentin wechselt. Chana war, als sie das Amt zuvor innegehabt hatte, mit den Umsiedlungen von Massai aus der Ngorongoro-Region in Verbindung gebracht worden. Aktivisten der Massai-Community haben in den sozialen Medien besorgt auf ihre Wiedereinsetzung reagiert. Neuer Generalbundesanwalt wird Hamza Johari, der als Verhandler des vielfach kritisierten Abkommens mit Dubai, welches Dubai für die nächsten 30 Jahre als Betreiber des Hafens von Dar es Salaam legitimiert, bekannt ist. Gemäß der Verfassung muss ein Generalbundesanwalt jedoch mindestens zehn Jahre als Jurist tätig gewesen sein, was bei Johari nicht zuzutreffen scheint.
Kommentatoren fragte sich, ob Präsidentin Hassan noch wissen könne, wer ihre Mitarbeiter seien und beschwerten sich über die mangelnde Transparenz ihrer Kabinettumbildungen.
Guardian/The Chanzo, 15.08.2024
Kommunalwahlen für den 27.11. angekündigt
Der Staatsminister im Präsidentenbüro für Regional- und Kommunalverwaltung Mohammed Mchengerwa verkündete, dass auf Tansania-Festland die Kommunalwahlen am Mittwoch, den 27.11.2024 von 8:00 bis 18:00 Uhr abgehalten werden sollen. Oppositionsparte ACT-Wazalendo verlangt, dass die Wahlen wegen der Unregelmäßigkeiten bei den Nachwahlen im März 2024 nicht vom Präsidentenbüro beaufsichtigt werden dürften, sondern von der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission abgehalten werden sollen. Die zweite Oppositionspartei Chadema vertritt die gleiche Auffassung.
Überschattet ist die lange hinausgezögerte Ankündigung des Wahltermins von den Verhaftungen in Verbindung mit überzogener Polizeigewalt unter Verwendung von Schlagstöcken, Pfefferspray und Tazern im Zusammenhang mit der Chadema-Versammlung in Mbeya. Bei den Kommunalwahlen 2024 geht es in 12.000 registrierten Dörfern, 4.263 Unterwahlbezirken und 64.361 Weilern sowie in 184 Distrikt-, Kommunal- und Stadträten um die Wahl von Repräsentanten.
Guardian/The Chanzo, 15.08.2024
Drei Kläger, Bob Wangwe, Bbelwa Kaiza und R. Ananilea Nkya, haben sich an ein tansanisches Gericht gewandt, um gegen die Beaufsichtigung der Kommunalwahlen im November 2024 durch Regierungsbehörden (das Büro der Präsidentin) zu klagen. Nach ihrer Auffassung und unter Berufung auf Artikel 76 (6) (e) der Verfassung von 1977 falle diese Aufgabe in den Zuständigkeitsbereich der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission. In den zurückliegenden Wahlen von 2019 habe es Auseinandersetzungen über die willkürliche Disqualifizierung von Oppositionskandidaten gegeben. Schließlich hatte die Regierungspartei Chama cha Mapinduzi (CCM) 99 % der Sitze gewonnen, doch hatte sich die oppositionelle Chama cha Demokrasia na Maendeleo gezwungen gesehen, sich von der Wahl zurückzuziehen.
EastAfrican, 31.08.2024
Massai-Demonstration
Am Sonntag, dem 18.08.2024 versammelten sich Hunderte Massai aus der Ngorongoro-Region an der Ngorongoro-Serengeti-Straße, demonstrierten mit Plakaten und Sprechchören gegen die „freiwillige Umsiedlung“ in das mehr als 400 km entfernte Msomera in der Lindi-Region und verlangteneinen Dialog mit der Regierung. Wer zur Umsiedlung bisher nicht bereit gewesen sei, habe sich starkem Druck ausgesetzt gesehen, sei vielfach seiner demokratischen Rechte beraubt worden und habe sich nicht in das Wählerregister eintragen lassen dürfen. Seit vier Jahren seien alle Sozialdienste wie Gesundheitsfürsorge und Erziehung ausgesetzt, um die Massai zum Aufgeben zu zwingen. Zuletzt habe die Regierung die Massai-Region von den Wahlregistern entfernt und den Bewohnern damit de facto für die Regionalwahlen im Herbst 2024 und die Parlamentswahlen 2025 ihr Stimmrecht entzogen. Chadema-Vize Tundu Lissu forderte die Tanzania Law Society (TLS) unter ihrem neuen Vorsitzenden Boniface Mwabukusi zur Intervention auf.
PanAfricanVision, 19.08.2024
Bischof Wolfgang Pisa, Präsident von Tansanias Katholischer Bischofskonferenz, fordert die Regierung auf, die Massai als gleichberechtigte Bürger Tansanias zu respektieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Er verlangte von den Verteidigungs- und Sicherheitskräften des Landes, sich zu mäßigen und die Massai nicht zu schlagen, denn sie seien Mitbürger. Menschen seien kein Vieh, das man beliebig herumschubsen dürfe.
Vatican News, 19.08.2024
Ein Kommentator machte darauf aufmerksam, dass 1/3 der tansanischen Landfläche als Naturschutzgebiete ausgewiesen sei und dass es vielleicht an der Zeit sei, etwas für die harmonische Koexistenz von Menschen und Tieren im Land zu tun, angesichts einer stetig wachsenden Bevölkerung und eines steigenden Bedarfs an landwirtschaftlicher- und Siedlungsfläche.
Guardian, 19.08.2024
Kommentar: Präsidentin Hassans Wiederinkraftsetzung aller sozialen und demokratischen Rechte der Massai von Ngorongoro sei löblich. Nötig sei jedoch eine klare Distanzierung von derlei „freiwilligen Umsiedlungen“ und die Anerkennung, dass die Bedeutung der Region als Tourismusmagnet auch den Bewohnern zu danken sei. So bleibe Tansanias Ruf als Tourismusziel in Gefahr. Jetzt müsse der Umsiedlungsprozess ausgesetzt und neu bewertet werden.
Citizen, 28.08.2024