Innenpolitik ‐ 04/2023

Aus Tansania Information
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Ungewählte Abgeordnete

Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes sind die Bestimmungen des Wahlgesetzes verfassungswidrig, wonach Wahlbewerber ohne Gegenkandidaten als gewählt erklärt werden, ohne dass es zu einer Abstimmung kommt. Durch diesen Paragrafen waren in der letzten Wahl 28 Bewerber zu Abgeordneten erklärt worden, allesamt Kandidaten der Regierungspartei CCM. Dabei ist in einer Reihe von Fällen nachgewiesen worden, dass Bewerber aus anderen Parteien durch Drohungen oder Manipulation daran gehindert wurden, ihre Wahlunterlagen rechtzeitig einzureichen. Zu den Politikern, die so ihren Parlamentssitz erhielten, zählen unter anderem Ministerpräsident Kassim Majaliwa sowie die Minister Nape Nnauye (Medien und Kommu-nikationstechnologie), January Makamba (Energie), Juma Aweso (Wasserangelegenheiten) und der ehemalige Außen- und dann Verfassungsminister Palamagamba Kabudi.

Die Klage war vom ACT-Politiker Joram Bashange gegen die Nationale Wahlkommission und gegen den Generalstaatsanwalt eingebracht worden. Es ist noch nicht klar, ob das Grundsatzurteil noch vor der kommenden Wahl Konsequenzen haben wird. Durch eine gleichartige Bestimmung im Kommunalwahlgesetz wurden im Jahr 2019 über 400 Kandidaten der CCM zu Abgeordneten in Stadt- und Distrikträten erklärt. Auch diese Bestimmung ist jetzt ungültig.

Citizen 31.03.2023

Samia als Gast bei Oppositionsveranstaltung

Große Aufmerksamkeit fand ein Auftritt von Präsidentin Samia auf einer Tagung der oppositionellen Chadema-Frauenvereinigung zum Internationalen Frauentag am 8. März. Die Frauenorganisation der größten Oppositionspartei hatte die Präsidentin und CCM-Vorsitzende zu ihrem Kongress in Moshi am Kilimandscharo eingeladen. Wenige Tage zuvor wurde bekannt, dass die Präsidentin zugesagt hatte.

In ihrer Rede sagte Samia, dass sie sich als Präsidentin aller Tansanier sehe und deshalb gerne gekommen sei. Sie sprach offen an, dass es nicht einfach gewesen sei, zwischen den verschiedenen politischen Lagern wieder zu einem offenen Gespräch zu kommen. Sie wolle aber eine neue Nation bauen, in der auch unterschiedliche Standpunkte friedlich diskutiert werden und gemeinsam nach der besten Lösung gesucht wird. Dafür habe sie bisher Widerstände sowohl in ihrer eigenen Partei CCM als auch bei Kritikern in der Opposition überwinden müssen. Auch in ihrer eigenen Partei sei die Wiederzulassung der politischen Versammlungsfreiheit nur gegen Bedenken und Einsprüche durchzusetzen gewesen. Sie wolle den eingeschlagenen Kurs aber beibehalten, bis auch die, die jetzt noch dagegen seien, sich von den positiven Resultaten der Änderungen überzeugen lassen.

Sprecher der Chadema begrüßten das Kommen ihres Gastes, ließen aber nicht die Gelegenheit ungenutzt, an Verfolgungen und Opfer in der Vergangenheit zu erinnern und politische Korrekturen in der Gegenwart zu fordern. Auch die Forderung nach einer neuen Verfassung wurde erneut vorgetragen.

In einer Erwiderung sagte die Präsidentin, dass ihre Regierung bereits an den genannten Punkten arbeite. Sie sei als CCM-Vorsitzende offen für Kritik, weil die ihr helfe, die Arbeit der eigenen Partei zu verbessern. Sie und ihre Zuhörerinnen seien in unterschiedlichen Parteien, und jede wolle an die Regierung. Aber sie sehe an den Gesichtern, dass ihre Zuhörerinnen nicht für eine Machtübernahme bei der nächsten Wahl bereit seien, „denn sie wissen ja, dass Mama da ist“.

Die tansanischen Medien reagierten auf das Ereignis mit teilweise überschwänglichem Lob. Mwananchi sah im Auftritt Samias ein Signal für eine “Politik der Liebe und Verständigung, durch die Feindschaft und Rache zu Grabe getragen werden”. Seit Einführung des Mehrparteiensystems vor 30 Jahren seien alle Präsidenten immer mehr Präsidenten der CCM als aller Bürger gewesen. Samias Vorvorgänger Jakaya Kikwete hätte sich mehr bemüht, auf die Opposition zuzugehen, aber unter Magufuli sei das Klima geradezu feindselig geworden. Samia zeige jetzt, wie Politik sein müsse, die die grundlegenden Freiheitsrechte der Bürger respektiert.

Auch Kommentatoren aus der Zivilgesellschaft zeigten sich positiv überrascht von Samias Auftritt. Der Politikwissenschaftler Kassim Nihuka von der katholischen Universität fand, dass Samias Begriff von nationaler Einheit neuartig und positiv für Afrika sei; dabei arbeite sie zugleich daran, ihre eigenen Chancen für die Wahl im Jahr 2025 zu verbessern und Angehörige der Opposition auf ihre Seite zu ziehen. Auch sein Kollege Deus Kibamba begrüßte Samias Rückkehr zu politischem Wettstreit und Verfassungsreform. Er fragte allerdings, wie weit die Mitglieder ihrer eigenen Partei diesen Kurs mittragen werden. Die CCM sei daran gewöhnt, ohne ernsthafte Konkurrenz Wahlen zu gewinnen und Posten zu verteilen.

Die Chademaveranstaltung in Moshi hatte mit einem Umzug der Teilnehmerinnen durch die gesamte Innenstadt bis zum Versammlungsort begonnen, bei dem lautstark eine neue Verfassung gefordert wurde. Als Gäste beteiligten sich auch zahlreiche Funktionäre der Regierungspartei CCM, darunter auch die Abgeordneten der Wahlkreise am Kilimandscharo, die seit 2020 alle von der Regierungspartei vertreten werden. Auch ca. 100 Mitglieder der CCM-Frauenvereinigung marschierten mit und nahmen an der Veranstaltung der Opposition teil.

Citizen 09-03-2023, East African 08.03.2023, Habarileo 08.03.2023, Mwananchi 05.,09.+10.03.23, Voice of America 10.03.2023

Politisches Begräbnis - überparteilich

Das neue Klima der politischen Offenheit zeigte sich auch in Mwanza am Viktoriasee bei der Beerdigung des Chademapolitikers Sylvester Masinde. Hier beteiligten sich auch zahlreiche Funktionäre und Mitglieder der regierenden CCM. Masinde war langjähriges Chademamitglied und hatte zahlreiche Parteiämter innegehabt.

Der politische Teil der katholischen Trauerfeier wurde vom Chademavorsitzenden Freeman Mbowe geleitet. Als höchster CCM-Vertreter war der Vorsitzende der Parteijugend Mohamed Ali Mohamed anwesend, der in einem Grußwort sowohl der Familie als auch der Oppositionspartei kondolierte. Gemeinsam mit ihm waren über 20 CCM-Mitglieder gekommen, darunter mehrere Mitglieder des nationalen Parteivorstandes. Mbowe teilte der Trauergemeinde auch eine Kondolenz der CCM-Vorsitzenden und Präsidentin Samia Suluhu Hassan mit.

Beerdigungen von Parteimitgliedern werden in Tansania oft für politische Reden benutzt. Während der Unterdrückung der Versammlungsfreiheit unter Samias Vorgänger Magufuli waren Trauerfeiern die einzige Gelegenheit für Oppositionspolitiker, öffentlich das Wort zu ergreifen.

Guardian 19.03.2023, Mwananchi 18.03,2023

Bericht des Oberrechnungsprüfers

Der Bericht des Obersten Rechnungsprüfers hat deutlichen Ärger bei Präsidentin Samia ausgelöst. Ende März nahm sie die Berichte des Rechnungshofes sowie der Antikorruptionsbehörde entgegen. Die Zeitungsberichte gaben bis Redaktionsschluss noch keine Übersicht, sprechen aber von TSh-Beträgen in Höhe von mehreren hundert Milliarden (was auf einige Hundert Millionen Euro hinausläuft), die verschwunden oder in der Buchhaltung nicht nachvollziehbar sind. Die Präsidentin machte klar, dass sie die Veruntreuung und Zweckentfremdung von öffentlichen Mitteln leid ist und jetzt Änderungen erwartet.

Aus dem Jahresbericht der Antikorruptionsbehörde geht hervor, dass sie wegen TSh 8,4 Mrd (€ 2,6 Mil) an hinterzogenen Steuern sowie TSh 2,6 Mrd (€ 1 Mil.) an gestohlenen öffentlichen Mitteln Anklagen erhoben hat.

Rechnungsprüfer Kichere fiel unter anderem auf: eine Rechnung des Flugzeugbauers Boeing, die auf $ 87 Mil. ausgestellt war und anscheinend bezahlt wurde, während der Vertrag nur über $37 Mil. abgeschlossen war. Bei der Bahngesellschaft wurden zweimal öffentliche Ausschreibungen über Waggons für die neue Schnellbahnlinie storniert und die Waggons schließlich für den doppelten Preis der günstigsten Ausschreibungsergebnisse eingekauft.

Samia fragte öffentlich, was sich eigentlich Vorstände denken, die solche offenkundig manipulierten Unterlagen abzeichnen und zur Zahlung freigeben. Derartiges Führungspersonal müsse von seinen Positionen entfernt werden, sagte sie, ohne Namen zu nennen. Sie kündigte an, bei allen mehr als 200 öffentlichen und meist defizitären Unternehmen zu überprüfen, welche von ihnen weiter betrieben werden sollen und von welchen sich der Staat trennen soll. Von Kichere genannt wurde auch wieder die staatliche Fluggesellschaft Air Tansania, die erneut einen Verlust von TSh 35 Mrd (€ 14 Mil.) ausweist. Der staatliche Versicherungsfonds habe im Vorjahr wieder mehr Leistungen ausgezahlt als an Beiträgen eingenommen wurde. Samia forderte die tansanische Telekom auf, sich aus dem Telefongeschäft zurückzuziehen, in dem sie Verluste macht und sich auf die Breitbandnetze im Lande zu beschränken.

Samia will auch die Vergabe von Darlehensmitteln für Selbsthilfegruppen von Frauen, Jugendlichen und Behinderten ändern, die bisher durch die kommunalen Parlamente vergeben werden. Hier habe es zu viel Betrug durch Stadträte gegeben, die Mittel für fiktive Gruppen beschlossen und das Geld dann unter sich selbst aufteilten. Laut Kichere sind von Darlehen in diesem Sektor TSh 88 Mrd. (ca. € 33,5 Mil.) nicht zurückgezahlt worden.

Als weitere Konsequenz aus dem Bericht forderte sie alle Behörden auf, Rechnungen umgehend zu bezahlen. Ihr sei durchaus klar, dass die TSh 418 Mrd (€167 Mil.), die die Regierung für Zinsen wegen verspäteter Zahlungen ausgeben müsse, zu einem guten Teil absichtlich verursacht werden; Beamte würden die Zahlung hinauszögern, um dann von den Gläubigern unter der Hand einen Anteil an den Vertragsstrafen auszuhandeln, wenn sie ihnen dann “helfen”, endlich ihr Geld zu bekommen.

Pressestimmen wiesen darauf hin, dass bereits im Rechnungshofbericht des Vorjahres sehr ähnliche Mängel genannt wurden und die Präsidentin auch damals ähnliche Ankündigungen gemacht hatte. Jetzt sei es Zeit zu handeln, bevor das Land sich selber umbringt.

Citizen 29., 30.+31.03.2023, Mwananchi 29.03., 31.03.+01.04.2023

Politische Sozialhilfe

Zitto Kabwe, Führer der Oppositionspartei ACT-Wazalendo, forderte von der Regierung Rechenschaft über die Vergabe von Hilfen aus dem Tanzania Social Action Fund. Dieses Programm unterstützt sehr arme Haushalte durch Vergabe von Geldhilfen, die bei gesunden Personen auch von Arbeitsleistungen in örtlichen Projekten abhängig gemacht wird. Das Programm lief anfangs versuchsweise nur in einigen Gebieten und ist mittlerweile auf ganz Tansania ausgeweitet.

Kabwe kritisiert, dass bei der Mittelvergabe Mitglieder und bekannte Wähler der Regierungspartei bevorzugt werden. Bei einer Reise im Distrikt Uyui berichteten ihm über 80 Jahre alte Bürger, dass sie für den Erhalt von Hilfen aus dem Fonds Gräben ausschachten sollten, während gewisse jüngere Leute bedingungslos Hilfsgelder bekämen. Laut Kabwe würden in manchen Gegenden Hilfsempfänger aufgefordert, Parteimitglieder der CCM zu werden. Er forderte die zuständige Ministerin Kahama auf, die geltenden Vergabekriterien offenzulegen.

Guardian17.03.2023