Thema: Geschichte Tansanias im Spiegel der Presse: Unabhängigkeit und Nyerere-Ära – 06/2017

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Nyerere: Kurzbiographie

Julius Kambarage Nyerere (JKN) wurde 1922 (nach anderen Quellen 1918, 1921 oder 1923) als eins von 26 Kindern des Chefs des Zanaki-Volkes geboren. Er besuchte mit 12 Jahren die Grundschule und anschließend die katholische Sekundarschule in Tabora, wo er als Zwanzigjähriger katholisch getauft wurde. 1943 folgte eine Lehrer-Ausbildung in Makarere, Kampala. Ab 1949 studierte Nyerere als Erster aus Tanganyika an der Universität Edinburgh Geschichte und Wirtschaftslehre. Ab 1952 arbeitete er als Sekundarschul-Lehrer in der Nähe von Dar-Es-Salaam. Während dieser Zeit formte er eine Studentenorganisation zu der politisch engagierten TANU (Tanganyika African National Union) um, mit dem Ziel, Tanganyika auf friedlichem Weg zur Selbstregierung zu führen. 1954 berief ihn der Gouverneur in den Gesetzgebenden Rat des Territoriums. 1955 stellte JKN das TANU-Programm dem UN-Treuhand-Gremium in New York vor. Mit einem alten Landrover tourte er durch Tanganyika und gewann in einem Jahr 250.000 Mitglieder für die TANU. Einige Male erhielt Nyerere Redeverbot: „Ich bin ein Unruhestifter, weil ich stark genug an die Menschenrechte glaube“.

Nyerere-Würdigungen

Bei unterschiedlichen Anlässen wurden als besondere Verdienste Nyereres (Staatspräsident von 1962 bis 1985) hervorgehoben:

  • Er diente seinem Land rast- und selbstlos und bereicherte sich nicht – sehr ungewöhnlich für einen afrikanischen Präsidenten.
  • Er war ohne Eitelkeit und persönliche Ansprüche; zu seinen Vorbildern zählten die wesentlich radikaleren Politiker Kwami Nkrumah (Ghana) und Patrice Lumumba (Congo), aber auch die gemäßigten Inder J. Nehru und M. Gandhi. „Ich lernte gemäßigt zu sein, indem ich das starre Verhalten der Europäer studierte.“
  • Er trat nach 24 Jahren freiwillig zurück und sicherte eine geordnete Nachfolge.
  • Er erkannte die Schwachstellen des verordneten Sozialismus und des Einparteien-Staats und war zu Korrekturen bereit.
  • Er einte die 120 Ethnien gewaltfrei zu einer Nation.
  • Er betonte und respektierte die Gleichheit aller Bürger/innen und trat besonders für die Rechte der Frauen ein
  • Er förderte massiv Alphabetisierung, Erwachsenen- und Schulbildung: zur Zeit der Unabhängigkeit 1961 waren 85% der Bevölkerung Analphabeten, 1985 dagegen konnten 91% lesen und schreiben. 1961 gab es in Tanganyika zwei Ingenieure und 12 Ärzte, nach 25 Jahren hatte Tansania Tausende von Akademikern. Nyerere erhielt und führte daher den Ehrennamen „Mwalimu“ (Lehrer). - Inzwischen werden wieder 22,4% der über 15-Jährigen als Analphabeten eingestuft.
  • Er übersetzte Shakespeare-Dramen ins Kiswahili und schrieb zahlreiche politisch-philosophische Bücher.
  • International trat Nyerere gegen jede Form von Postkolonialismus und globaler Blockbildung ein und förderte entscheidend die Befreiungsbewegungen in Mosambik, Südafrika und Simbabwe. Er gehörte zu den Gründungsvätern der OAU, heute Afrikanische Union (AU).

Besonders ergebene Verehrer streben eine Heiligsprechung des Katholiken Nyerere an. Dieser Prozess wurde 2005 eingeleitet, als Papst Benedikt XVI ihn zu einem „Diener Gottes“ erklärte.

Die südafrikanische Regierung verlieh Nyerere posthum den Ubuntu-Preis, eine Auszeichnung für besondere Verdienste um Menschlichkeit.

Kritiker weisen auch auf problematische Charakterzüge des Gründungspräsidenten hin: politische Gegner wurden ohne Prozess eingesperrt oder mussten fliehen. Er hielt an der Todesstrafe fest. Seine teilweise gewaltsam durchgeführten sozialistischen Reformen erwiesen sich als realitätsfern und führten zu einer Wirtschaftskrise. Die Einheitspartei TANU, später CCM führte zu Filz und Korruption. Die Union von Tanganyika und Sansibar leidet bis heute unter den Ungereimtheiten ihrer Gründung.

Business Times 17.10.16; Citizen 13.08.14; East African 05.11.16

Arusha-Erklärung

Anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums der Arusha Declaration (AD) von 1967 veranstaltete das Nyerere Resource Centre (NRC) ein Symposion zu den in der AD formulierten Werten. Besonders Führungsethik, Gleichheit der Bürger/innen und wirtschaftliche Selbständigkeit blieben Leitwerte für die Zukunft des Landes. Die Wissenschaftskommision (COSTECH) wird ein Buch dazu veröffentlichen. Das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte NRC soll das Nyerere-Archiv digitalisieren und über Internet zugänglich machen.

Nach der neuen Wirtschaftspolitik sollten etwa 400 staatseigene Unternehmen die Bevölkerung mit allem Notwendigen versorgen; diese versanken aber in Bürokratie und Desinteresse. Die mit der AD beschlossene Kooperativen-Landwirtschaft scheiterte an Korruption und am Widerstand der Bevölkerung. Die Verstaatlichung von Betrieben, Banken, Plantagen und Häusern brachte wegen Inkompetenz und Nachlässigkeit nicht die erhofften Entwicklungserfolge und wurde ab 1985 wieder zurückgenommen. Ausländische Einflüsse waren zwar, wie in der AD gefordert, zurückgedrängt worden, aber die Abhängigkeit von Auslandshilfe aus Ost und West wurde immer größer. Der Mangel wurde mit Bezugs- und Erlaubnisscheinen verwaltet, was der Bestechlichkeit Tür und Tor öffnete.

1991 revidierte die „Sansibar-Erklärung“ der CCM wichtige Punkte der Arusha Declaration. Parteifunktionäre und Politiker durften sich nun unternehmerisch betätigen und mehrere Gehälter beziehen, was inoffiziell bereits weit verbreitet war.

Ein Museum in Arusha nahe dem AD-Gedenkturm erinnert an Tansanias Geschichte. Von Buntmetalldieben gestohlene Plaketten am Turm selbst wurden erneuert.

Business Times 02.10.14; Citizen 11.12.16; 05.02.17; www.costech.or.tz; DN 23.02.17; Guardian 18.03.15 www.wikisource.org/wiki/ Arusha_Declaration

Unionsprobleme

Im Gegensatz zur gewaltfreien Dekolonisierung in Tanganyika endete die Herrschaft des von England gestützten Sultans auf den Inseln Sansibar („Unguja“) und Pemba mit einem blutigen Umsturz am 12. Jan. 1964, bei dem mehrere tausend Araber und Inder ermordet wurden. Die damalige Afro-Shirazi-Partei (ASP) ergriff die Macht, um sie nie wieder abzugeben. Unter A. Karume (1905 – 1972) verfolgte sie einen Sozialismus nach osteuropäischem Muster und baute mit ostdeutscher und chinesischer Unterstützung einen repressiven Polizeistaat auf. 1972 stürzte eine weitere Revolution Karume. Trotz seiner Bildungsfeindlichkeit und Demokratieverachtung wurde Karume nach seiner Ermordung zum Revolutionsheiligen stilisiert.

Nyerere und Karume hatten noch 1964 in geheimen Verhandlungen eine Union (möglicherweise nach dem Vorbild des englischen United Kingdom; keine Föderation) von Sansibar und Tanganyika vereinbart, die den Inseln eine ausgeprägte Teilautonomie (mit eigenem Präsidenten, eigener Verfassung, Nationalflagge, Nationalhymne und gerichtlich nicht anfechtbarer Wahlkommission) garantierte. 1972 vereinigten sich auch die beiden herrschenden Parteien ASP und TANU zur „Chama cha Mapinduzi“ (CCM - Revolutionspartei). Seit der Debatte um eine neue Verfassung der Union ab 2012 mehren sich die Befürworter einer föderativen Union mit einer Zentral- und zwei Regionalregierungen. Dies hatte schon der 2016 96-jährig verstorbene frühere Sansibar-Präsident A. Jumbe gefordert. Dafür wurde er 1984 entmachtet und lebte seitdem im Quasi-Hausarrest in DSM.

Fast alle Wahlen auf den Inseln waren seitdem von Gewaltausbrüchen und Fälschungsverdacht begleitet. 2010 bildeten CCM und CUF (Civic United Front) eine „Regierung der Nationalen Einheit“, die jedoch nach der von CCM und Wahlkommission manipulierten Wahl 2015 und dem Wahlboykott der CUF 2016 nicht weiterbestand. Trotz ritueller Beschwörungen der Einheit herrscht auf den Inseln offene Feindschaft zwischen den Parteien. Die CUF-Gefolgschaft erkennt die CCM-Regierung nicht an. Zwischen Sansibar und Festland bestehen historisch bedingt weiterhin zahlreiche Ressentiments und ausgeprägtes Misstrauen.

Business Times 13.05.16; Citizen 26.04.; 08.08.16; DN 14.01.15; Guardian 06.06.16; www.theconversation.com/africa 02.05.17