Justizwesen, Polizei ‐ 11/2021

Aus Tansania Information
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Wechsel im Obersten Gerichtshof

Präsidentin Samia hat den bisherigen Präsidenten des Obersten Gerichtshofs für Festlandstansania Eliezer Feleshi zum Generalstaatsanwalt (entspricht dem Justizminister) ernannt. Zu seinem Nachfolger als Gerichtspräsident berief sie Mustapha Siyani, den bisherigen Vorsitzenden Richter im Prozess gegen Oppositionsführer Mbowe. Er legte daraufhin die Leitung des Prozesses gegen Mbowe nieder.

East African 23.10.21

Schmerzensgeld für Membe

Das Oberste Gericht sprach dem ehemaligen Außenminister und Präsidentschaftskandidaten der Oppositionspartei ACT Bernard Membe TSh 6 Mrd (€ 2,3 Mil.) als Schadenersatz zu. Membe hatte 2018 gegen den Zeitungsverleger Cyprian Musiba wegen Verleumdung geklagt. Membe hatte sich 2015 um die Aufstellung als Präsidentschaftskandidat der CCM bemüht, war aber dem späteren Präsidenten Magufuli unterlegen. 2018 gab es eine Gerüchtekampagne in der von Musiba verlegten Zeitung Tanzanite, in der Membe und andere beschuldigt wurden, für die kommende Wahl 2020 die Wiederaufstellung von Präsident Magufuli für eine 2. Amtszeit hintertreiben zu wollen. Musiba und seine Medien galten Beobachtern als vom Geheimdienst beeinflusst, Kommentatoren sahen damals die Kampagne als Teil von Magufulis Bemühungen, verschiedene Fraktionen in der ewigen Regierungspartei CCM unter seine Kontrolle zu bringen. In der Folge kam es zu Parteiausschlüssen ehemaliger hoher Parteifunktionäre.

Membes Verleumdungsklage schlummerte zu Magufulis Lebzeiten vor sich hin. Nachdem er selber 2020 aus der CCM ausgeschlossen worden war, wandte er sich im beginnenden Wahlkampf der Oppositionspartei ACT zu und ließ sich von ihr zum Präsidentschaftskandidaten küren. Im Wahlkampf war er wenig präsent und verließ seine neue Partei bald nach der von Magufuli gewonnenen Wahl. In den vergangenen Wochen wurde über seine Rückkehr in die CCM spekuliert. - Verleger Musiba war bereits im August 2021 vom Obersten Gericht auf Sansibar zu einer Zahlung von TSh 7,5 Mrd. wegen Verleumdung der oppositionellen und auf dem Festland mit Berufsverbot belegten Juristin Fatma Karume verurteilt worden. Wenn er nicht zahlt, können seine Gläubiger eine Beugehaft erzwingen, deren Kosten sie allerdings für jeweils 6 Monate selber tragen müssten.

Citizen 29.01.21, Guardian 29.10.2021

Kritik am Kautionsrecht

Das Menschenrechtszentrum LHRC hat in einer neuen Studie eine Reform der Gesetzesbestimmungen über die Kaution gefordert. Es geht darum, ob ein Angeklagter bis zum Urteilsspruch hinter Gitter muss oder gegen Hinterlegung einer Sicherheitssumme auf freiem Fuß bleiben darf, bis über Schuld oder Unschuld entschieden ist. In Tansania waren im Laufe der Jahre durch Gesetzesänderungen immer mehr Anklagepunkte hinzugekommen, die Kaution ausschließen. So dürfen zur Zeit Richter bei Anklage wegen Terrorismus, Internetverbrechen und Geldwäsche keine Kaution gewähren. LHRC hat die Situation in Tansania mit den Gesetzen in anderen Ländern Ostafrikas verglichen, in denen die Rechte der Bürger besser geschützt sind.

Praktisch benützen Polizei und Anklagebehörde diese ungenau abgefassten Bestimmungen dazu, Beschuldigte monate- oder gar jahrelang in Haft zu halten, ohne dass ein Richter ihren Fall entschieden hat. In solchen Fällen erklärt die Anklage bei Haftprüfungsterminen jeweils, dass die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien, womit sich die Untersuchungshaft immer wieder verlängert. Es ist eine Reihe von Fällen bekannt, wo absichtlich eine jahrelange Untersuchungshaft als Druckmittel gegen Beschuldigte eingesetzt wurde, um sie zu Teilgeständnissen zu zwingen; es gibt auch Fälle, wo arme Beschuldigte, die sich keinen Anwalt leisten können, einfach aus Schlamperei jahrelang unschuldig hinter Gittern verbracht haben.

Das Oberste Gericht Tansanias hat festgestellt, dass ein gesetzliches Verbot der Kaution für bestimmte Fälle nicht mit der Verfassung übereinstimmt. Bisher hat die Regierung keine Reform auf den Weg gebracht. Aber Präsidentin Samia hatte im August die Polizei aufgefordert, schneller zu ermitteln und Verfahren einzustellen, wenn es nicht genug Beweise für eine Anklage gibt. Polizei und Anklagebehörden sollten sich Gedanken über nötige Gesetzesänderungen machen. Die Kosten für den Unterhalt unschuldiger Gefangener seien zu hoch.

East African 30.10.21

Terrorismusprozess gegen Chadema-Mbowe

In Dar es Salaam wurde im Oktober der Prozess gegen Freeman Mbowe fortgeführt, den Vorsitzenden der Oppositionspartei Chadema und vormaligen Oppositionsführer. Gemeinsam mit 3 weiteren Angeklagten wird er der Vorbereitung terroristischer Handlungen sowie Wirtschaftsverbrechen bezichtigt. Anklage wegen Wirtschaftsverbrechen schließt Freilassung auf Kaution aus, gleiches gilt für den Terrorismusvorwurf.

In einem Nebenverfahren wurde im Oktober zunächst ein Einspruch der Verteidigung gegen die Zulassung von Zeugenaussagen verhandelt. Die Verteidigung hatte dagegen geklagt, ein Geständnis von Mbowes Mitangeklagtem zu akzeptieren, dass dieser bei der Polizei gemacht hatte. Laut Gesetz muss ein Beschuldigter binnen 4 Stunden verhört werden; in diesem Fall wurde das Verhör erst nach mehreren Tagen durchgeführt. Ferner sei der Beschuldigte von der Polizei gefoltert worden, um sein Geständnis zu erzwingen. Der vorsitzende Richter wies beide Einsprüche ab. Die Vernehmungsfrist beziehe sich auf die Dauer einer Vernehmung, nicht auf den Zeitraum nach der Verhaftung; eine Misshandlung habe nicht nachgewiesen werden können.

Mehrere Verhandlungstage waren dann mit dem Vortrag von Polizeiermittlungen gefüllt. Es war auffällig, dass die Polizei bisher die Anschuldigungen in Form von Vernehmungsprotokollen als Beweise einführt und die vernommenen Personen nicht direkt als Zeugen der Anklage auftreten lässt.

In diesem Verfahren gab es im Oktober bereits den zweiten Richterwechsel. Im September war der zuständige Richter Elinaza Luvanda auf Antrag der Verteidigung zurückgetreten. Jetzt zog sich sein Nachfolger zurück, nachdem er noch Einsprüche der Verteidigung abgewiesen hatte; Richter Mustapha Siyani begründete dies mit seinem neuen Amt als Gerichtspräsident. Der Chadema Generalsekretär John Mnyika kommentierte, Siyani wolle mit dem Rückzug nur sein schlechtes Gewissen beruhigen, nachdem er gerade eine unter Folter erzielte Aussage zugelassen habe.

BBC 20.10.21, Citizen 16.+27.10.21, Habarileo 07.10.21, Mwananchi 26.10.21

Sabaya: 30 Jahre

Der frühere Distriktskommissar von Hai Ole Sabaya wurde am 15. Oktober zu einer Haftstrafe von 30 Jahren für bewaffneten Raubüberfall verurteilt. Das Urteil lautete auf dreimal 30 Jahre für die verhandelten Anklagepunkte, die gleichzeitig zu verbüßen sind.

Der erst 35-jährige Ole Sabaya galt als Schützling des verstorbenen Präsidenten Magufuli und war von diesem 2018 nach Hai mit dem Auftrag geschickt worden, um die damalige Hochburg der Oppositionspartei Chadema auf Regierungskurs zu bringen. Dies gelang ihm nach Meinung von Beobachtern mit einer Mischung aus Bestechung von Lokalpolitikern, Einschüchterung und Verhaftungen. Bei der Wahl im Oktober 2020 verlor der bisherige Abgeordnete von Hai und Oppositionsführer Freeman Mbowe sein Mandat.

Zum Verhängnis wurde Sabaya, dass er seine Aktivitäten auch auf den benachbarten Distrikt Arusha ausdehnte, in dem er keinerlei Befugnisse hatte, damit anderen Staatsfunktionären auf die Füße trat und offenkundig in die eigene Tasche wirtschaftete. Auch in Arusha erpresste er durch die Drohung mit Strafanzeigen wegen Wirtschaftsverbrechen Geld von Geschäftsleuten. Wer mit dieser Beschuldigung verhaftet wird, muss bis zu einem Gerichtsurteil in Haft bleiben; die Eröffnung eines Verfahrens kann von der Polizei fast beliebig hinausgezögert werden. So bekam er von einem Unternehmer TSh 90 Mil. (€33.000). Sabaya zog bei entsprechenden Besuchen in Begleitung seiner mitangeklagten „Bodyguards“ in Geschäften auch schon mal eine Pistole zur Einschüchterung hervor, was ihm jetzt die Mindeststrafe für bewaffnete Überfälle eintrug.

Als im März Präsident Magufuli unerwartet starb, dauerte es nicht lange, bis Beschwerden über ihn dessen Nachfolgerin Samia Suluhu Hassan erreichten. Im Mai ließ sie Sabaya beurlauben und ordnete eine Untersuchung an. 3 Wochen später wurde er in Untersuchungshaft genommen und ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet. Er verteidigte sich damit, dass er in jedem Falle nur Aufträge des Präsidenten ausgeführt habe, die ihm in jeden Fall direkt telefonisch übermittelt worden seien. Hierfür konnte er natürlich keinerlei Zeugen vorbringen.

Nach seiner Verurteilung wurde das Verfahren wegen weiterer Anklagepunkte gegen ihn fortgeführt; jetzt trat er mit geschorenem Kopf und in Sträflingskleidung an. Sein Anwalt erwägt eine Berufung gegen das Urteil.

Citizen 15. + 16.10.21

Normenkontrollklage gegen Internetsteuer

Das Oberste Gericht ließ eine Normenkontrollklage des Menschenrechtszentrums LHRC gegen die neuen Steuern auf Internet- und Telefonnutzung zu. Die Klage richtet sich gegen die Minister für Finanzen und Telekommunikation sowie gegen das Justizministerium. Im jüngsten Haushaltsgesetz wurden Abgaben auf jeden Kauf von Datenpaketen für die Handynetze sowie auf jede Geldüberweisung via Mobiltelefon eingeführt.

Guardian 18.10.21