Innenpolitik - 07/2021

Aus Tansania Information
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100 Tage Präsidentin Samia

Am 26. Juni war Präsidentin Samia 100 Tage im Amt und zahlreiche Politiker und Medien äußerten sich aus diesem Anlass. Wenig überraschend war das große Lob aus dem Munde von Premierminister Majaliwa über die Frau, die ihn jederzeit entlassen könnte. Sie habe die Union zwischen dem Festland und Sansibar gefestigt, die Revolution verteidigt und alle Tansanier vereint ohne Ansehen von Parteizugehörigkeit, Stamm, Religion oder Hautfarbe.

Vom Exiljournalist Ansbert Ngurumo, der 2018 aus Tansania fliehen musste, kam eine fast enthusiastische Würdigung unter der Überschrift „In 100 Tagen hat Samia den Magufulismus zerlegt“. Als das völlige Gegenteil ihres Vorgängers habe sie eine politische Kehrtwende vollzogen, den Umgang mit der Coronaepidemie geändert, die Wirtschaftspolitik verändert, den Raum für die Zivilgesellschaft erweitert und versuche, eine gute Regierungsführung durchzusetzen. Sie habe das Amt für Korruptionsbekämpfung dazu gebracht, über 100 Strafverfahren einzustellen, die auf fingierten Anklagen beruhten.

Deutlich vorsichtiger waren die Kommentare der tansanischen Journalisten der Deutschen Welle. Es sei noch zu früh für eine umfassende Bewertung. In ihrem Bemühen um Öffnung des politischen Klimas müsse Samia ständig Balanceakte vollziehen. In ihren Wahl der Distriktskommissare ernannte sie eine Reihe von linientreuen CCM-Mitgliedern gemeinsam mit einigen Personen aus der vormaligen Opposition, Journalisten und Künstlern. Die klarste Richtungsänderung sei in ihrem Umgang mit der Coronaepidemie geschehen.

Der lutherische Bischof und vormalige Magufulikritiker Bagonza aus Karagwe sieht in Samia jemand, die mehr bewerkstelligt hat als zu erwarten war, aber für die noch viel zu tun bleibt. Sie habe noch nicht die Frage einer neuen Verfassung, den Umgang mit Opfern der politischen Verfolgung sowie die große Arbeitslosigkeit angerührt. Sie stehe als Politikerin auf dem Festland drei Hürden gegenüber: als Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft, als Muslima in einer von Christen dominierten Gesellschaft, und als Sansibari unter den Festlandsbewohnern.

Zitto Kabwe von der Oppositionspartei ACT-Wazalendo würdigte, dass Samia die Spielräume erweitert habe; die Presse könne jetzt Themen behandeln, die unter Magufuli tabu waren. Es habe sich aber noch nichts bewegt in Hinblick auf Zensurgesetze; auch sei Polizeichef Simon Sir immer noch im Amt, der unter Samias Vorgänger die Unterdrückung der Opposition durchgesetzt habe.

Der Vorsitzende der AUF-Partei Ibrahim Lipumba lobte Samias Außenpolitik, ihren Umgang mit den Menschenrechten und der Coronaepidemie sowie ihr Zugehen auf die Unternehmen. Enttäuscht sei er von ihrem Zögern hinsichtlich der Verfassungsreform und Gesprächen mit der politischen Opposition

Citizen 27.06. + 30.06., Deutsche Welle 26.06.21, Sautikubwa.org 25.06.21

Personalpolitik

Am 19. Juni ernannte die Präsidentin eine Reihe von neuen Distriktskommissaren und ordnete zahlreiche Reihumversetzungen dieser Beamten an. In einigen Bereichen wurden gezielt Frauen auf die Leitungspositionen gesetzt. Durch Ernennung mehrerer Kommissarinnen beträgt der Frauenanteil in diesen Positionen jetzt ein Viertel. Bei den Verwaltungsleitern der Regionen gibt es jetzt 12 Frauen unter 26, also fast die Hälfte. Bei den Regionalkommissaren als politischen Leitern hat sich das Geschlechterverhältnis nicht geändert. Eine Journalistin des Citizen schrieb, dass sich die Erwartungen auf einen grundlegenden Kurswechsel hinsichtlich der Situation von Frauen in Führungspositionen nicht erfüllt haben, auch wenn es einige Veränderungen gab.

Mitte Juni entließ die Präsidentin den Distriktskommissar von Morogoro und seinen Verwaltungsleiter, nachdem in der Stadt Morogoro Straßenhändler gewaltsam von ihren Standplätzen vertrieben, ihre Waren zerstört und einige verprügelt worden waren Samia sagte dazu, sie erwarte von ihren Kommissaren, Anordnungen auf andere Weise umzusetzen.

Citizen 15.06., 19.06. + 28.06.21, Mwananchi 02.06.21

Der Fall Sabaya

Anfang Juni wurde der bisherige Distriktskommissar von Hai Lengai Ole Sabaya vor dem Gericht in Arusha wegen bewaffneten Raubes, Geldwäsche, Anführerschaft einer bewaffneten Bande und Korruption angeklagt. Er war am 13. Mai von seinem Amt suspendiert worden, nachdem zahlreiche Beschwerden über Willkür, Misshandlungen und Amtsmissbrauch das neue Präsidialamt erreicht hatten. Ole Sabaya war als Funktionär des CCM-Jugendverbands vom verstorbenen Präsidenten Magufuli zum Distriktskommissar ernannt worden und galt trotz mehrerer Beschwerden gegen ihn als unantastbar. Sabaya umgab sich mit bewaffneten Leibwächtern, die er privat angeheuert hatte und soll mehrfach Geschäftsleute erpresst haben, indem er ihnen mit Anzeigen wegen Wirtschaftsverbrechen drohte, bei denen in Tansania keine Kaution möglich ist. Er setzte dabei mehrfach seine Befugnis ein, Beschuldigte für 48 Stunden zu verhaften. Sein letzter Akt war Anfang Februar, als er einem Geschäftsmann nachstellte, dessen Angestellte verprügeln ließ und dann einen CCM-Ratsherrn entführte, der auf Bitten des Geschäftsmannes zu dessen Laden gekommen war. Seine Leibwächter misshandelten den Ratsherrn und ließen ihn erst laufen, nachdem er ihnen alles Geld gegeben hatte, das er bei sich trug. Jetzt sind alle drei in Haft und es melden sich immer mehr Personen zu Wort, die in den vergangenen Jahren seine Opfer geworden waren, die sich unter Magufuli aber nicht in die Öffentlichkeit gewagt hatten.

Citizen 04.06.21, Mwananchi 06.06.21, Raia Mwema 02.06.2021

Damenhosen im Parlament

Anfang Juni wurde die CCM-Abgeordnete Condester Sichwale aus dem Parlament geschickt, um sich umzuziehen. Ihr Sitznachbar hatte sich darüber beschwert, dass sie zu enge Hosen trüge, was nach der Geschäftsordnung weiblichen Abgeordneten nicht gestattet sei. Einige Abgeordnete protestierten nach der Sitzung. In sozialen Medien ergoss sich eine Flut von Spott über den Parlamentspräsidenten Ndugai, der sich im Falle der von ihrer Partei abgelehnten weiblichen Chademaabgeordneten als Vorkämpfer für Frauenrechte geriert hatte.

Mwananchi 01.06.21

Armer Abgeordneter

Der Parlamentsneuling Nicodemus Maganga klagte in der Budgetdebatte darüber, dass er vor seiner Wahl nicht wusste, wie wenig er als Abgeordneter verdienen würde. Er habe immer gedacht, seine Bezüge mit allen Zulagen wären ein gutes Einkommen. Jetzt habe er gelernt, dass er als tansanischer Abgeordneter viel weniger erhalte als seine Kollegen in Kenia und Südafrika, die in Dollar ausbezahlt würden. – Erwartungsgemäß wurde seine Klage in den sozialen Netzen ausgiebig, aber mit wenig Sympathie kommentiert.

Citizen 22.06.21, Jamiiforums ab 22. Juni 21

Verfassungsdebatte

Mitte Juni erklärte der neue Sekretär der Regierungspartei CCM, dass die Frage der Verfassung unter Präsidentin Samia keine Priorität habe. Es gebe wichtigere Herausforderungen zu bewältigen. Im Wahlkampf 2015 war die CCM noch mit der Forderung nach einer neuen Verfassung angetreten, aber Magufuli hatte das Thema gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten für nachrangig erklärt. Im CCM-Programm für die Wahl 2020 kam das Thema nicht mehr vor.

Ende des Monats erklärte die Präsidentin dann bei einem Treffen mit Journalisten, dass der wirtschaftliche Aufschwung für sie Priorität hat. Die Lösung politischer Fragen, wie die Wiederaufnahme der Verfassungsdebatte und die Frage öffentlicher Kundgebungen, müssten noch etwas warten. Zu gegebener Zeit käme das auch an die Reihe. Alle Parteien seien frei, Versammlungen in geschlossenen Räumen durchzuführen. (Dies wurde unter Magufuli meistens durch die Polizei unterbunden.) Ansonsten gelte weiter die Regelung ihres Vorgängers, dass Abgeordnete öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel in ihren Wahlkreisen durchführen dürfen. (Was bedeutet, dass die Opposition, die praktisch kaum noch Abgeordnete hat, keine Kundgebungen auf öffentlichen Plätzen durchführen darf.) Medienunternehmen, die mit Publikationsverbot belegt waren, sollten entsprechend der Gesetzeslage neue Lizenzen beantragen. Sie sehe auch ein, dass die derzeitigen Lizenzgebühren für Medien zu hoch seien.

Es handelt sich offenkundig um eine weitere Stellungnahme, mit der Samia aus Rücksicht auf Magufulianhänger in ihrer eigenen Partei versucht, den politischen Ball flach zu halten. Für Gesetzesänderungen ist sie auf die Zustimmung des fast ausschließlich aus CCM-Abgeordneten bestehenden Parlaments angewiesen.

Es folgte eine erregte Debatte in sozialen Medien und Äußerungen von Oppositionspolitikern. Einige Äußerungen: „Magufuli war ein harter Diktator, sie ist eine sanfte Diktatorin. – Was hat denn der wirtschaftliche Fortschritt mit den demokratischen Rechten zu tun? – Die Einschränkungen für öffentliche Versammlungen sind weder von der geltenden Verfassung noch von den Gesetzen gedeckt. Warum setzt sie die Beugung der Verfassung fort, auf die sie einen Eid geschworen hat? – Die Diskussion über eine neue Verfassung kann nicht von den Gefühlen der Präsidentin abhängen, sondern muss sich nach dem Gesetz zur Verfassungsreform von 2021 richten. – Mama, mach weiter so! Wir müssen endlich wirtschaftlich vorankommen, bevor wir politisch Krach schlagen. Erst müssen die Investoren kommen.“

Chadema-Vorsitzender F. Mbowe twitterte: „Mama. Mama. Mama. In dieser Sache: Ein klares Nein. Vielleicht verstehen du und deine Berater nicht, was wir unter deinem Vorgänger 5 Jahre lang durchmachen mussten. Deshalb haben wir dich schon lange gebeten, uns endlich anzuhören. Sehr, sehr traurig!“

Citizen 29.06.21, East African 17.06.21, Jamiiforums ab 28.06.21