Thema: Junge Tansanier/innen: Gewalt gegen Mädchen - 02/2018

Aus Tansania Information
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Gewaltvergehen

Der Gesundheitsbericht des Nationalen Statistikbüros (2016 Demographic and Health Survey – www.nbs.go.tz) zeigt, dass 33% aller Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Die meisten Sexualverbrechen begehen Nahestehende aus Familie und Nachbarschaft. 32% der Mädchen und 17% der Jungen wurden von Fremden belästigt. 2015 wurden 3.444 Fälle von Vergewaltigung gemeldet. Der Mara-Regionschef erklärte, die Zahl der vergewaltigten Schülerinnen sei mit zwei bis drei Fällen pro Tag alarmierend. Er beschuldigte Schulleiter, die Schuldigen, darunter auch Lehrer, zu decken; die Fälle von Inzest nähmen zu. Die Bunda-Distriktschefin drohte, Dorfälteste festzunehmen, in deren Zuständigkeitsbereich Vergewaltiger nicht identifiziert werden. Vor den Gerichten sind über 2.000 Prozesse wegen Vergewaltigung Minderjähriger anhängig. Die meisten derartigen Verbrechen werden allerdings nicht angezeigt, sondern mit Entschädigungszahlungen kompensiert.

Menschenrechtsorganisationen kritisierten Präsident Magufuli, der zwei Musiker begnadigt hatte, die zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden waren, weil sie zehn Mädchen im Alter von sechs bis acht Jahren vergewaltigt hatten. Magufuli sende damit eine fatale Botschaft, die Verbrecher ermutige und Opfer erniedrige.

Die Regierung Sansibars kündigte einen Fünf-Jahresplan gegen Sexualverbrechen an. Besonders die Aggressionen gegen Minderjährige nähmen besorgniserregend zu. Manche Familien verkauften junge Mädchen an ältere Männer. Opfervertreter warfen Polizei, Justiz und den Kadi-Gerichten vor, Prozesse zu verzögern, Akten verschwinden zu lassen und die Opfer zu traumatisieren. Ein Kadi-Richter erläuterte, dass nach islamischem Recht nicht das Alter, sondern der Entwicklungsgrad eines Mädchens für die Ehereife ausschlaggebend sei.

Besonders prekär ist die Lage der minderjährigen Prostituierten in den Großstädten. Sie haben keinerlei Schutz vor gewalttätigen Kunden, Arbeitgebern, Wachleuten, Polizisten und auf der Straße lebenden Jugendlichen. Ausländische Touristen sind begehrte Kunden, weil sie fair bezahlen. Die Mädchen sind meist Kinder von Bettlern oder kommen aus entlegenen Regionen.

Citizen 18.02.17; 02.01.18; DN 19.05.; 11.10.; 24.11.16; 07.02.; 31.12.17; 05.01.18; East African 12.12.17; 18.01.18; Guardian 07.05.16; Thomson Reuters Foundation 25.12.17

Schädliche Tradition: FGM

In Tansania leben etwa 7 Mill. Frauen und Mädchen mit verstümmelten Genitalien (Female Genital Mutilation – FGM). In der Manyara-Region sind 81% der Mädchen betroffen (Dodoma 68%, Arusha 55%, Singida 43%, Mara 38%, DSM 6%), landesweit etwa 15%. Das Initiationsritual wird traditionell im Alter von 11 bis 17 Jahren vollzogen. Es soll das Mädchen zur Frau machen und ihre „Reinheit“ gewährleisten. Der Tradition zufolge bringt eine nicht „beschnittene“ Frau Unglück über ihren Mann und ihre Familie. FGM ist in Tansania verboten, daher werden in jüngerer Zeit vermehrt weibliche Babys „beschnitten“. In der Manyara-Region wurde eine 70-Jährige verhaftet, nachdem die von ihr „beschnittene“ Urenkelin gestorben war.

Im Tarime-Distrikt, Mara-Region wurden 10 Frauen festgenommen, die 800 Mädchen verstümmelt haben. Die FGM geht dort allmählich zurück. 2016 wurden im Serengeti-Distrikt, Mara-Region noch 5.621 Mädchen zur „Beschneidung“ angemeldet (2014: 14.122), aber 4.148 davon gerettet. Sechs Mädchen starben infolge des Eingriffs. Die Organisation „Mütter- und Kindergesundheit“ meldete jedoch, dass 60% aller in Tanga-Stadt geburtshilflich Betreuten genital verstümmelt waren. Im Ngorongoro Distrikt waren es 90% der Gebärenden.

Eine selbst verstümmelte Mutter verteidigte ihre Töchter gegen Schwiegerfamilien, die ihre Verstümmelung forderten; sie zahlte deren Brautgeld zurück. Auch einige ehemalige Beschneiderinnen gaben ihr einträgliches Handwerk auf und werben nun für einen alternativen Initiationsritus. Eine Beschneiderin, die Christin wurde und ihre Tätigkeit einstellte, muss wegen Morddrohungen die Nächte im Haus des Dorfältesten verbringen. Sie berichtete von blutigen Zeremonien und starkem psychischen Druck von Seiten der örtlichen Clanführer. Eine größere Anzahl von Wakurya-Anführern unterschrieb andererseits eine Erklärung, künftig für eine unblutige Initiation einzutreten.

Viele bedrohte Mädchen retten sich während der alle zwei bzw. drei Jahre stattfindenden Initiationssaison in die wenigen „safe houses“ von NROs und Kirchen. 2017 musste das Rettungshaus in Mugumu, Tarime-Distrikt bei einer Kapazität von 40 Plätzen 300 Mädchen aufnehmen. (www.mugu musafehouse.wordpress.com). 600 Freiwillige weltweit erstellten eine elektronische Karte, die es ermöglicht mit einem Smartphone das Rettungshaus bzw. bedrohte Mädchen zu finden. So wurde eine 16-Jährige, die nach einem Fluchtversuch in einem entlegenen Dorf eingesperrt war, aufgespürt und befreit. Bisher wurden 277.198 Gebäude und 22.000 km Straßen und Wege erfasst (www.crowd2map.wordpress.com). Das katholische Safe House in Masanga, Tarime geriet in finanzielle Schwierigkeiten, als die Eltern von 34 dorthin geflohenen Mädchen diese nicht mehr aufnahmen. Nach 60 weiteren verstoßenen „modernen“ Mädchen suchen die Sozialbehörden.

Plan International arbeitet mit EU-Finanzierung an 31 Grund- und 9 Sekundarschulen in ländlichen Regionen von Geita und Mara gegen die FGM [vgl. u. Frühschwangerschaften]. Childrens Dignity Forum [s.u. Organisationen] unterhält mit britischer Finanzierung Klubs, in denen Schülerinnen und junge Frauen für die Problematik sensibilisiert werden. Das Interreligiöse Komitee lud Wakurya-Clan-Älteste zu Informations- und Diskussionsrunden ein. Die UNESCO startete in 30 Dörfern und Schulen von Loliondo, Ngorongoro-Distrikt eine Aufklärungsaktion.

CAJ News 16.11.17; Citizen 28.12.16; 09.02.; 08.07.; 01.08.; 03.,14.10.17; DN 30.06.; 26.08.16; 07.02.; 15.12.17; Guardian 07.07.16; 06.,07.02.;30.07.; 02,08.; 26.12.17; 08.01.18

Frühschwangerschaften

Tansania hat weltweit mit höchste Rate von minderjährigen Müttern: 135 von 1000 Geburten. 2016 wurden 69.000 schwangere Teenager erfasst. 4% der 15-Jährigen und 27% der Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren haben ein oder mehrere Kinder (2010 noch 21%). Im Nkasi-Distrikt, Rukwa-Region wurden innerhalb zweier Jahre 152 schwangere Schülerinnen gezählt. Die Kilosa-Distriktschefin teilte mit, 4.186, d.h. 31%, aller Gebärenden, seien Teenager, davon 23 Schülerinnen. Sie verbot die traditionellen Initiationstänze („vigodoro“ - „Maträtzchen“) und Heiraten unter 18.

DN 18.07.16; 03.11.17; Guardian 12.11.; 26.12.17; 13.01.18

Ursachen und Gegenmaßnahmen

Als Ursache für Schülerinnen-Schwangerschaften nennt ein Bericht von Human Rights Watch Unkenntnis über Menstruation und Empfängniskontrolle. Viele Eltern lehnten Sexualerziehung in der Schule ab; die Lehrkräfte seien dafür auch nicht geschult. Oft seien gerade Lehrer die Verführer. Auch exzessive, tagelange Tanzfeste zur Erntezeit haben oft Kinderschwangerschaften zur Folge. In der Morogoro-Region sind sie unter der Bezeichnung „vigodoro“ (s.o.) bekannt; in der Mtwara-Region heißen die Initiationstänze „vinyago“. Viele Mädchen lassen sich auf Abenteuer ein, weil sie unbedingt ein Smartphone besitzen wollen.

Das Strafmaß für Schwängerung minderjähriger Schülerinnen wurde auf 30 Jahre Gefängnis angehoben. Dies wirkt aber kaum abschreckend, weil sich die Täter fast immer freikaufen können. Besonders lokale Richter zeigen sich oft milde gegenüber ihnen bekannten Angeklagten.

World Vision fährt eine Kampagne gegen Frühehen und Kinder-Schwangerschaften. Schüler/innen von Grund- und Oberschulen zeigen in Schauspiel, Gedichten und Liedern, wie Mädchen verführt werden und geben Verhaltenshinweise. Zugleich werden Lehrkräfte für die Thematik sensibilisiert.

Plan International (PI) führte im Nkasi-Distrikt, Rukwa-Region Halbjahreskurse für 360 jugendliche Mütter durch, um sie für selbständige handwerkliche Erwerbsarbeit zu qualifizieren. Die Hälfte der unter 18-jährigen Mädchen im Distrikt wird schwanger.

Die EU finanziert in den Regionen Geita und Mara ein Drei-Jahres-Projekt zum Schutz von Mädchen vor Verstümmelung und Frühverheiratung. Neben Kinderschutz-Organisationen und Schulen werden dabei auch Fußballvereine in das von Plan International durchgeführte Projekt einbezogen.

PI will mit einem 5-Jahresplan etwa 12.000 Mädchen in den Regionen Geita, Ifakara Mara, Morogoro und Rukwa vor Frühverheiratung und sexueller Gewalt bewahren. Die Betroffenen sollen befähigt werden, über ihren Körper selbst zu bestimmen, sich gegen Diskriminierung und Gewalt zu schützen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Aufklärungsarbeit bezieht Erwachsene ein und wendet sich auch an traditionelle Anführer, um im Rahmen der Nachhaltigen UN-Entwicklungsziele veraltete Machtstrukturen positiv zu verändern. PI wendet sich auch an die Motorrad-Taxi-Fahrer, die für 13% der Kinderschwangerschaften verantwortlich gemacht werden. Ein PI-Jugendzentrum in Dar-Es-Salaam berät täglich etwa 50 Personen in Fragen der Reproduktionsgesundheit.

Das Gesundheitsministerium startete eine Sendereihe im Radio, die über sexuelle Gewalt und FGM aufklären soll. Die Kilimanjaro-Region baut verstärkt Internate für Schülerinnen, nachdem sich gezeigt hat, dass die meisten Schwangerschaften bei externen Schülerinnen auftreten.

Citizen 18.02.;09.08.16; 02.08.; 13.09.; 20.11.17; 02.01.18; DN 07.,18.,19. 02.; 13.,27.1.; 18.02.17; East African 25.06.16; Guardian 02.08.; 10.,14.10.17; 24.01.18

Kontroverse zu Schulbesuch

Nach einem Bericht von Human Rights Watch (2014) verlassen jährlich mehr als 8.000 Schülerinnen wegen Schwangerschaft vorzeitig die Schule (Das Bildungsministerium nennt für 2016 3.700 Schülerinnen). Viele Schulen führen routinemäßig Schwangerschaftstests durch, oft unter erniedrigenden Umständen. Der Distriktschef von Tandahimba, Mtwara-Region ließ 55 Schülerinnen, die Kinder geboren hatten, und ihre Eltern (soweit erreichbar) vorläufig festnehmen, um die Kindesväter festzustellen. Es sei inakzeptabel, dass bei so vielen Vergehen keine einzige Anklage erhoben werden konnte. Die Familien weigerten sich, bei der Suche nach den Schuldigen mitzuwirken. Diese selbst flohen und werden gesucht. Der Regionalkommissar von Mwanza befahl, alle schwangeren Grundschülerinnen vor Gericht zu stellen, um die Übeltäter zu finden. 2017 mussten 33 schwangere Grundschülerinnen die Schule verlassen.

2016 hatte die Schulbehörde dazu aufgefordert, Schülerinnen nach der Entbindung einmalig wieder zum Unterricht zuzulassen. Präsident Magufuli erklärte jedoch im Juli 2017, kindliche Mütter dürften ihre Schule nicht wieder besuchen; denn sonst würden sie andere ermutigen, ihrem schlechten Beispiel zu folgen. Dies würde die Nation zerstören. Sie sollten statt dessen als Bäuerinnen arbeiten oder einen Beruf erlernen. NROs, die für Teenage-Mütter einträten, seien vom Ausland gesteuert und gefährdeten tansanische Werte. Frauen- und Bildungsorganisationen sehen damit anstelle der Täter und der untätigen Regierung die Opfer bestraft. Die Direktive widerspreche zudem dem CCM-Wahlmanifest. Das Parlament debattierte Dr. Magufulis Vorstoß hitzig; Salma Kikwete, Frau des Altpräsidenten, unterstützte vorbehaltlos den Präsidenten.

Von den Kirchen wurde bisher keine Stellungnahme zum Schulbesuch kindlicher Mütter bekannt. Bischof Malasusa (ELCT-Küstendiözese) rief bei einem gesamtafrikanischen Workshop die Kirchen allgemein auf, „für die Rechte der Marginalisierten einzutreten“ und „Strukturen entgegenzutreten, die Frauen, Kinder, Jugendliche und Behinderte diskriminieren“.

Citizen 16.05.; 22.,23.06.; 29.09.; 11.,27.12.17; 04.,07.01.18; DN 23.06.17; East African 25.06.16; ELCT Press Release 30.10.17; Human Rights Watch 03.07.17