Thema: Junge Tansanier/innen: Eheprobleme - Kinderehen - 02/2018

Aus Tansania Information
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Eheprobleme, Traditionsbruch

Die Zahl der Ehescheidungen nimmt rasch zu. Vor allem junge Ehepaare trennen sich oft nach wenigen Jahren. Die Kinder leiden in der Folge unter wirtschaftlichen und psychischen Problemen. Der Mufti von Sansibar führt die Schwierigkeiten auf fehlende gesellschaftliche Unterstützung junger Paare zurück. Er will daher einen dreimonatigen Einführungskurs für Heiratswillige einführen.

DN 29.12.17

Kinderehen

Kinderehen häufen sich in Nord-Tansania bei den Wamasai, Wakurya, und Wachagga, im Süden bei den Wahehe and Wamakonde und im Westen bei den Wahaya, sowie bei der muslimischen Bevölkerung der Küstenregionen. Landesweit werden laut Gesundheitsministerium 37% der Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet (davon 7% vor dem 15. Geburtstag), in einzelnenRegionen deutlich mehr:

  • Shinyanga 59%
  • Tabora 58%
  • Mara 55%
  • Dodoma 51%
  • Morogoro 42%
  • Mwanza 37%
  • Tanga 29%, Arusha und Kilimanjaro 27%,
  • Dar-Es-Salaam 19%, Iringa 8%

Der Rektor einer Grundschule in der Simiyu-Region, in der seit Jahren alle Schülerinnen in der Abschlussprüfung durchfallen, erklärte, die Eltern zwängen ihre Kinder, absichtlich zu versagen, damit diese nicht auf eine Sekundarschule müssten und sofort heiraten, bzw. Vieh hüten könnten.

In Shinyanga wurde ein 62-Jähriger verhaftet, der seine 13-jährige Tochter gegen ein Brautgeld von 15 Kühen und 2 Ziegen mit einem 18-Jährigen verheiraten wollte.

Eine Umfrage 2016 ergab, dass Mädchen aus armen Familien mehr als doppelt so oft als Minderjährige verheiratet werden als solche aus wohlhabenden Kreisen. Ihr Brautgeld muss oft die Heirat eines Sohnes der Familie finanzieren. Die meist analphabetischen Mädchen können sich nicht gegen die Zwangsverheiratung wehren. Auch in ihrer Ehe müssen sie sich dem Mann unterwerfen und oft für seine Ausgaben aufkommen.

Citizen 09.08.; 09.10.16; 27.09.17; DN 18.07.16; 06.03.17Guardian 03.03.; 17.09.; 26.12.17; Mwananchi 11.01.18

Risiken von Kinderehen

Die frühen und häufigen Schwangerschaften minderjähriger Ehefrauen erhöhen drastisch die Sterblichkeit von Müttern und Kindern, sowie das Risiko von Fistula und HIV-Infektion. Auch Früh- und Totgeburten, häusliche Gewalt und risikoreiche Abtreibungen treten häufig auf. Wegen der abgebrochenen Schulbildung bleiben die Mütter arm und unwissend, sind mit der Erziehung überfordert und müssen zu viele Kinder prekär ernähren. Damit vererben sie Armut und Rückständigkeit an ihre Kinder. Somit entstehen schwere Lasten für die Gesellschaft und Rückschläge bei der Armutsbekämpfung. Das hohe Bevölkerungswachstum behindert die wirtschaftliche Entwicklung.

Citizen 09.08.; 16.12.16; Guardian 09.07.16; 08.05.17

Rechtsprechung und Kulturdebatte

Tansania ist mehreren internationalen Abkommen zum Schutz von Kindern und insbesondere Mädchen beigetreten:

  • Artikel 16 der UN-Menschenrechtserklärung fordert, dass eine Ehe nur mit voller und freier Einwilligung der Beteiligten geschlossen werden darf.
  • Die „African Charter on the Rights and Welfare of the Child“: verpflichtet die Mitgliedsstaaten, „schädliche soziale und kulturelle Praktiken zu beseitigen, die Würde und normale Entwicklung des Kindes beeinträchtigen.“ „Eheschließungen unter 18 Jahren werden verboten“.
  • Dieselben Verpflichtungen formuliert die UN-Beijing-Erklärung (1995) und die „Übereinkunft zur Abschaffung der Gewalt gegen Frauen“ (UN-CEDAW, 1981).
  • Das Fünfte der „Nachhaltigen Entwicklungsziele (UN Global Goals) strebt Geschlechtergleichheit und Ermächtigung aller Frauen und Mädchen an, speziell die Abschaffung schädlicher Praktiken wie erzwungene und Kinderehen, sowie FGM.
  • Die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC), der TZ angehört, formulierte ein Mustergesetz zur Beseitigung von Kinderehen und Schutz von verheirateten Minderjährigen.

Bisher galt in Tansania das Ehegesetz von 1971, das Mädchen gestattet, ab 15 Jahren (mit elterlicher Zustimmung) oder gar ab 14 Jahren (mit gerichtlicher Erlaubnis) zu heiraten [bzw. „geheiratet zu werden“, wie die lokalen Sprachen deutlicher formulieren]. Das Verfassungsgericht erklärte im Juli 2016 Heiraten unter 18 Jahren für verfassungswidrig, weil Minderjährige nicht vertragsfähig seien und Eheverträge nicht stellvertretend geschlossen werden könnten. Das Gesetz verweigere den betroffenen Mädchen grundlegende Rechte wie gesunde Entwicklung und angemessene Schulbildung. Es widerspreche auch dem Gesetz über Sexualverbrechen von 1998.

Die „Msichana (Mädchen-) Initiative“ [s.u. S. 12 „Organisationen“] hatte das Gericht in dieser Frage angerufen. Die Leiterin der Initiative, Rebeca Gyumi, wurde für ihren Kampf um die Rechte der tansanischen Mädchen mit dem Global Goals Award von UNICEF ausgezeichnet. Eine nationale Konferenz von 800 Mädchen verlangte eine zügige Neufassung des Ehegesetzes.

Es gab zahlreiche Einwände, die Ausnahmen und Hintertüren für kulturelle Zugeständnisse verlangten. Der Generalstaatsanwalt legte Berufung gegen das Urteil ein. Die Kampagne gegen die Eheschließung minderjähriger Mädchen werde von ausländisch beeinflussten NROs geführt und ignoriere kulturelle und religiöse (Sheria) Prägungen, die das nun gekippte Ehegesetz berücksichtigt habe. Die Gesundheitsministerin U. Mwalimu versprach eine Novellierung des Ehegesetzes anzustoßen, nachdem zahlreiche Abgeordnete dies dringlich gefordert hatten. Der Justizminister machte religiöse Rücksichten für die lange verzögerte Revision verantwortlich.

Traditionell gilt eine 15-Jährige als erwachsen und soll nicht mehr von ihrer Herkunftsfamilie abhängen. Wenn sie nicht im informellen Kleinhandel Fuß fassen oder eine weiterführende Schule besuchen kann, kann sie nur durch ein Verlobungs- oder Eheverhältnis die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen.

Manche Wakurya-Mädchen (Mara-Region) retten sich vor Verstümmelung und Kinderehe indem sie eine ältere Frau heiraten („Nyumba ntobu“ - Frauenhaushalt). Sie können dann mit einem Mann ihrer Wahl Kinder haben, die als Nachkommen der Älteren gelten.

Citizen 03.08.16; 09.07.17; DN 10.11.15; 11.02.; 09.,18.07.; 05.,11.08.; 22.09.; 15.11.16; 28.04.; 06.05.17; Guardian 22.11.17; Mwananchi 10.08.16

Interventionen, Maßnahmen

Die Regierung arbeitet mit den NROs zusammen bei der seit 2014 laufenden Kampagne „Kinderehenfreie Zone“. Die Aktivist/innen versuchen, Clanälteste, Eltern, Lehrkräfte und religiöse Autoritäten über die negativen Auswirkungen von Kinderehen und die Gesetzeslage aufzuklären. Graça Machel forderte mit scharfen Worten ein sofortiges Ende der Kinderehen.

Das Gesundheitsministerium führte Aufklärungsversammlungen unter den Wamaasai in den Regionen Iringa, Manyara, Mara, Mbeya, Mwanza und Tanga durch, fand aber wenig Akzeptanz.

Das Büro des Präsidenten warnte Geistliche davor, Ehen zu schließen, bei denen Minderjährige beteiligt sind. Sekundarschülerinnen dürften nicht vor ihrem Schulabschluss heiraten. In Sumbawanga wurden drei Elternpaare verhaftet, die ihre 15-jährigen Töchter verheiratet hatten, während sie die 6. Klasse Grundschule besuchten. Drei Lehrer, die die Vorfälle nicht gemeldet hatten, wurden mit Entlassung bedroht. Die beteiligten Ehemänner flohen. Premier K. Majaliwa erklärte bei diesem Anlass, Eltern, Schwiegereltern, Trauzeugen und Ehemänner von minderjährigen Bräuten müssten mit harten Gefängnisstrafen rechnen, die Braut-Eltern mit bis zu 30 Jahren Haft.

Die Civil Society Foundation [s.u. Organisationen] bildet im Bahi-Distrikt, Dodoma-Region 10 Kinderschutz-Teams aus, um Missbrauch und Erniedrigung von Mädchen entgegenzutreten.

Childrens Dignity [s.u. Organisationen] führt mit niederländischer Unterstützung in Dar-Es-Salaam eine Aktion gegen Frühehen und -Schwangerschaften durch. Im städtischen Milieu lassen sich Schülerinnen zunehmend durch lifestyle-Verführungen wie Luxuskleidung und Smartphones auf riskantes Verhalten ein.

Das Agape AIDS Control Programm rettete 2016 in der Shinyanga-Region 122 minderjährige Mädchen vor der Zwangsheirat. In der Region bringt der Brautpreis den Eltern etwa 15 Rinder ein.

Citizen 09.08.16; 29.07.; 21.,29.09.17; DN 28,09.; 05.10.; 16.12.16; 18.03.; 03.11.17