Revision der Verfassung - 05/2014

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Holperiger Start

Nach dreiwöchigem Hin und Her zu Tagesgeldern, Geschäftsordnung und Verfahrensfragen [vgl. TI März 2014, S. 3] eröffnete Präsident Kikwete offiziell die Verfassunggebende Versammlung (VV). Er warnte vor starren Blocks, die um jeden Preis ihre Position durchzusetzen suchen. Jede Interessengruppe benötige Stimmen aus anderen Lagern, um eine 2/3-Mehrheit zu erreichen. Daher sollten alle auch das Positive an gegnerischen Konzepten sehen.

Der Vorsitzende der Oppositionsgruppe „UKAWA“ [s.u. „Koalitionen“],I. Lipumba, kritisierte Kikwetes Eröffnungsansprache als spalterisch und den Verfassungsprozess gefährdend. Dieser hatte sich in Verteidigung der CCM-Position gegen das 3-Regierungen-Modell gestellt, das die Vorbereitende Verfassungsrevisions-Kommission vorgeschlagen hatte [Vgl. TI März 2014, S. 3]. Kikwete hatte sogar einen möglichen Armeeputsch angedeutet, falls die jetzige 2-Regierungen-Struktur geändert würde. Damit demütigte er nach Auffassung der Opposition die Revisionskommission und die Bürger/innen und vertrat einseitig Parteiinteressen. Wenn sich die CCM den Verfassungsprozess aneigne, drohe das Unternehmen zu scheitern. - Kikwete lehnte ferner den Vorschlag der Kommission ab, die Wählbarkeit von Abgeordneten auf drei Wahlperioden (à 5 Jahre) zu begrenzen.

Die Gruppe „Tanzania Kwanza“ [s.u. „Koalitionen“] verteidigte Kikwetes Kritik am Verfassungsentwurf mit dem Argument, jeder dürfe einen Entwurf kritisch kommentieren. Die Rede sei patriotisch und geeignet, die Union (Festland-Sansibar) zu verteidigen.

Koalitionen in der VV

Die größeren Oppositionsparteien (Chadema, CUF and NCCR) und parteilich ungebundene Mitglieder der VV schlossen sich zu dem Bündnis UKAWA (Umoja wa Katiba ya Wananchi - Coalition of the Defenders of the People’s Constitution) zusammen. Die Gruppierung umfasst etwa 190 Delegierte. Sie fürchten, dass die CCM, die über die Mehrheit der 629 Delegierten verfügt, die VV für ihre Zwecke instrumentalisieren will. Ihr Vorsitzender ist der CUF-Chef Prof. I. Lipumba. UKAWA kritisierte scharf die vom VV-Präsidenten ausgewählten Ausschuss-Vorsitzenden (12 von 14 CCM-Mitglieder), sowie die Mitglieder des Lenkungs-Ausschusses. Weder die Opposition noch Sansibar seien angemessen vertreten. Nach Protesten wurde der Lenkungs-Ausschuss neu besetzt mit 3 Oppositions- und 2 CCM-Mitgliedern.

Nach Kikwetes Inaugurationsrede formierte sich eine weitere Koalition „Tanzania Kwanza“ (Tansania zuerst) unter dem Vorsitz des CCM-Abgeordneten S. Nkumba. Sie vertritt die Gesichtspunkte der regierenden „Revolutionspartei“ (CCM) und umfasst nach eigenen Angaben etwa 400 Mitglieder.

Der Vorsitzende des „Rates der Politischen Parteien Tansanias“ (Zusammenschluss kleinerer Parteien, die als solche keine Delegierten in die VV entsenden konnten), P. Mziray, kritisierte die Koalitionen in der VV scharf als „schäbige, unpatriotische Politiker, die Feinde der nationalen Wohlfahrt geworden“ seien.

Das gegenseitige Misstrauen in der VV zeigte sich auch daran, dass der Vermittlungsausschuss nicht in der Lage war, ein bestimmtes Abstimmungsverfahren vorzuschlagen (offene oder geheime Stimmabgabe). Man einigte sich schließlich auf „gemischte Abstimmung“, d.h. Jedes Mitglied entscheidet selbst, ob es sein Votum offen oder geheim abgibt. Die CCM-Führung bestand auf offener Stimmabgabe.

Zentraler Streitpunkt

Die meisten Diskussionen konzentrieren sich auf die zukünftige Staatsform Tansanias, hauptsächlich auf die Frage, ob es wie bisher zwei Regierungen geben soll, oder drei. Letzteres würde ein zusätzliches Parlament und Regierung für Tanzania-Festland bedeuten. Die Oppositionsparteien (auch auf Sansibar) favorisieren das 3-Regierungen-Modell, während die regierenden Parteien die Zweierstruktur befürworten.

Die Vorbereitende Kommission hatte die Staatsform der drei Regierungen vorgeschlagen. Der Kommissionsvorsitzende J. Warioba berief sich dafür auf Umfragen, die eine breite Mehrheit dafür anzeigten. Er sagte, wer dieses Modell ablehne, entscheide gegen die Mehrheitsmeinung im Land.

Die Verfechter der 2-Regierungen halten die Umfragen für nicht repräsentativ. Präsident Kikwete forderte mehr Zeit, um das s. E. grundsätzlich bewährte Zweiermodell an heutige Erfordernisse anzupassen und bezeichnete die Dreier-Alternative als unrealistisch, unfinanzierbar und potentiell gefährlich für die Einheit des Landes.

Präsident Kikwete kam Sansibar entgegen mit der Zustimmung zum langjährigen Wunsch der Inseln, sich der Organisation Islamischer Länder (OIC) anzuschließen. Ein sansibarischer Delegierter sagte, die OIC sei keine religiöse Organisation, da ihr auch Länder mit kleiner moslemischer Bevölkerung angehörten. Es gehe vielmehr darum Entwicklungshilfe-Gelder zu erschließen.

Der 2. Vizepräsident Sansibars betonte, die 10 Änderungen der Verfassung von 2010 gefährdeten die tansanische Union nicht. Sansibar sei demnach kein souveräner Staat an sich, sondern ein souveräner Staat innerhalb der Vereinigten Republik von Tansania. Umstritten ist, ob einige der sansibarischen Verfassungsänderungen auch einer 2/3 Mehrheit im nationalen Parlament bedurft hätten.

Aufregung entstand, als Verfechter der 3-Regierungen-Struktur verlangten, die Charta der Union zu sehen, um zu beurteilen, ob ihr Staatsmodell deren Regelungen widerspreche. Angeblich sei ein solches Dokument weder in Tansania noch bei den UN aufzufinden. Mitte April konnte die Regierung aber das Abkommen zwischen J. Nyerere und A. Karume vom 22. 04.1964, sowie die Ratifikationsurkunden präsentieren. Angesichts der vielen Wortmeldungen wurde die Debatte zur Union von geplanten 3 Tagen auf 7 Tage verlängert.

Opposition zieht aus

Kurz vor Ostern zogen etwa 190 UKAWA-Mitglieder aus der VV aus. Zur Begründung sagte I. Lipumba (CUF), die VV steuere auf eine Katastrophe zu. Er bezog sich auf Äußerungen eines Staatsministers bei einem methodistischen Gottesdienst in Dodoma. Dieser hatte ausgeführt, ein Drei-Regierungen-System komme so teuer, dass die Armee nicht mehr bezahlt werden könne und dann möglicherweise putschen werde. Auch Kirchen würden dann geschlossen, weil das Land nicht mehr friedlich sein würde. Sansibarischen Befürwortern der Dreier-Struktur habe der Minister unterstellt, sie wollten eine Föderation und eine islamische Nation auf Sansibar. Die sansibarische Oppositionspartei CUF sei mit der islamistischen Bewegung „Uamsho“ (Erwachen) liiert.

Lipumba warf seinen Gegnern vor, ihn und seine Gruppierung durch rassistische und religiös verhetzende Formulierungen zu diskriminieren. Er verglich sie allerdings seinerseits mit der Hutu-Mörderbande Interahamwe zur Zeit des ruandischen Genozids. Die Regierung verfügte, allen, die die Beratungen boykottieren, kein Sitzungsgeld (Tshs 70.000 / Tag) auszuzahlen.

Historischer Hintergrund für die Animosität der Chadema ist, dass ihr Präsidentschaftskandidat W. Slaa bei der Wahl 2010 eine neue Verfassung innerhalb der ersten 100 Tage seiner Präsidentschaft versprochen hatte, die konsequent dem Mehrparteiensystem entsprechen werde. Entgegen starkem Widerstand in der eigenen Partei machte sich J. Kikwete die Idee zu eigen und verstand es, die Machtverhältnisse in der VV zu Gunsten der CCM zu gestalten.

Kommentare

Die Vorsitzende des VV-Ethikausschusses, M.Mrikaria, sagte, einige Mitglieder hätten „schlechte Manieren“. Von sehr vielen Seiten wurden die VV-Mitglieder aufgefordert, ihre Sprache zu mäßigen.

Die regierungskritische Zeitung The Citizen bemerkt, die VV habe viel Zeit mit Nebenthemen und polarisierenden Reden verloren, habe keine klare Richtung, tappe im Dunkeln und verfolge Partikularinteressen statt Konsens. Die Zeitung The Guardian kommentiert: Nachdem ein Monat mit Debatten über Formalien vergangen sei, stelle sich nun heraus, dass die VV einen Verfassungsentwurf billigen soll, den die Regierung nicht akzeptieren kann.

Kirchliche und moslemische Stellungnahmen

Die christlichen Kirchen und islamische Geistliche unterstützten die Arbeit der VV durch Gebete. Inzwischen mehren sich die kritischen Stimmen. Mehrere lutherische und katholische Geistliche verurteilten in Karfreitags- und Ostergottesdiensten Partei-Egoismus und Korruptionsanfälligkeit von VV-Mitgliedern und Politikern allgemein.

Die katholische Bischofskonferenz (TEC) forderte die Gläubigen in einem Pastoralbrief auf, angesichts der Konflikte nicht zu resignieren. Die Mehrheitsmeinung zur Unions-Regierungsform sei im Verfassungsentwurf bereits festgehalten, nun versuchten mächtige Gruppen, Zusätze in ihrem Partei-Interesse einzubringen. Wenn die Regierungsform in einem Konsens beschlossen werde, könne jedes Modell funktionieren. „Alle Menschen guten Willens sollten politische Ideologien hintan stellen und gemeinsam gegen das Böse, die Selbstsucht und die Privilegierung der Reichen auf Kosten der Armen kämpfen.“ Der katholische Bischof von Moshi forderte zum Gebet für die VV-Mitglieder auf, denn Satan sei in ihre Herzen eingedrungen und verursache Missverständnisse.

Der Lutherische Leitende Bischof Alex Malasusa warnte ebenfalls eindringlich vor Partei-Egoismus. Das Tauziehen in der VV sei sehr beunruhigend. Die neue Verfassung könne nur mit Versöhnungsbereitschaft und gegenseitigem Respekt erreicht werden, nicht durch Beleidigungen und politische Muskelspiele. „Wir erwarten, weder Gewinner noch Verlierer zu sehen, sondern ein Verfassungsdokument für alle Tansanier/innen“. Die Bischöfe der Pfingstkirchen beurteilten die Verweigerung der UKAWA-Gruppe und die geplanten landesweiten Demonstrationen als politisch unreif und verlangten, zum konstruktiven Gespräch zurückzukehren.

Der anglikanische Erzbischof V. Mokiwa bescheinigte der VV, völlig versagt und nur Gerangel auf Kosten der Steuerzahler gezeigt zu haben. „Seit Beginn der Beratungen hat die VV im Wesentlichen nur vier Dinge getan: mehr Geld verlangt, keinen Wahlmodus gefunden, ihre Amtszeit verlängert und die Sitzungen verlassen. Nichts davon ist ihr Auftrag, Grund genug, sie zu feuern.“ Kirchenführer schlugen vor, eine Vermittlungsgruppe aus 20 respektierten Personen zu bilden, um die VV wieder auf die Spur zu bringen.

Ein 59-jähriger Katholik band sich während der Fastenzeit täglich für 4 Stunden an ein Kreuz über seinem Grasdach. Er widmete diese Zeit der Reflexion über und dem Gebet für die VV. „Jehova, sieh auf die tansanische Nation. Ihr droht Zerstörung durch die Machtgier einiger Politiker.“ Der frühere Jazz-Sänger meint, das Land brauche eine Verfassung, die seine chronischen Probleme löst, nicht eine, die die herrschende Klasse begünstigt.

Ein Imam in Dodoma, A. Zuberi, sagte, der Boykott der UKAWA-Gruppe entlarve sie als selbstsüchtige und machtgierige Leute. Durch die Querelen in der VV kompliziere sich der Verfassungsprozess und werde für parteipolitische Manöver missbraucht.

Die VV wurde bis 6. August vertagt, um die Haushaltsdebatte im Parlament zu ermöglichen. Die Finanzministerin gab an, bisher habe die VV € 13 Mill. gekostet, wofür mehrere Entwicklungsprojekte zurückgestellt werden mussten.

Guardian 22.,23.,26.,29.,30.03.; 05.,06.,09.,13.,15.,16.,17., 18.,19.,20.,21.,26.04.14; Citizen 23.,25.,26.,29.03.; 15.,18., 19.04.14; DN 14.,21.,22.,24.,26.04.14